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Dienst nach Vorschrift gibt Chaos

■ Kleine Geschichte der Bremer Postgewerkschaft / Es begann mit „Aktion Igel“

„Was, die Postbeamten wollen streiken? Das wär ja noch schöner, das dürfen die doch gar nicht“. Oder: „Dienst nach Vorschrift? Machen die doch sowieso, das kennt man ja.“ Oder: „Die Beamten wollen sich nur mal wieder einen schönen Lenz machen“. Vorurteile gegen Beamte im allgemeinen und Postbeamte im besonderen sind so zahlreich wie die Witze, die über sie gemacht werden. Was dagegen kaum eine weiß: Nur ein Teil der MitarbeiterInnen sind Beamte, bei der Post wird rund um die Uhr gearbeitet und es gibt dort noch echte Malocher-Jobs. Auch, daß im Briefverteiler-Dienst 80 Prozent der Beschäftigten Frauen sind, sieht man den zahlreichen Gebäuden kaum an.

Hinter der denkmalgeschützten Fassade des Bremer Postamtes 5 am Bahnhof zum Beispiel verbirgt sich in Wahrheit eine „Postfabrik“. Von den Beschäftigten wurde sie immer schon als „Knochenmühle“ erlebt. Fließbandtätigkeit, schwere körperliche Arbeit beim Paket- oder Beutelumschlag, vor allem in den Abend- und Nachtstunden, gehörten zum Alltag.

Auch über den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in der 500jährigen Post-Geschichte ist wenig bekannt. Anlaß genug für die KollegInnen des Arbeitskreises „Geschichte der Deutschen Postgewerkschaft Bremen“ sich einmal genauer mit den Tarifkämpfen der Bremer Post zu beschäftigen. Ergebnis der einjährigen Spurensuche und Zeitzeugenbefragung ist das kleine Buch „Arbeit und Streik bei der Bremer Post“. Etwa 30 Fotografien über den Arbeitsalltag und verschiedene Streikaktionen illustrieren Berichte von denen, die „hautnah“ dabei waren.

„Rund um uns begann der Wohlstand Ende der 50er Jahre zu erblühen, nur wir Beamten hinkten immer hinterher. Da haben wir gesagt, das muß sich ändern“, erzählt Hans Iggena über die Zeit vor der „Aktion Igel“. Vorbild und Anstoß für diese, bis dahin in Deutschland einmalige Idee, war der sehr erfolgreiche „Dienst nach Vorschrift“ bei der Post in Großbritannien. „Also, das war uns schon vorher bewußt,“ sagt Manfred Krause, 1962 Schalterbeamter beim Postamt Bassum, „daß die Beachtung der Vorschriften zum Chaos führen mußte. Das könnten wir heute noch genauso gut machen.“

Als die Aktion nach drei Tagen abgebrochen wurde, gab es zahlreiche Proteste auch anderer Beamtengewerkschaften. Und erst im November beschloß der Bundestag eine Ausgleichszahlung, die im Endeffekt auf eine Gehaltserhöhung um 6 Prozent hinauslief (von Juli bis Dezember 1962).

Über die historische Bedeutung der Aktion meinte DPG-Bezirkssekretär Manfred Krause: „Bei der Post nach dem Krieg hatten viele noch das Führerprinzip 'Befehl und Gehorsam' drauf. Die Aktion „Igel“, das waren die ersten Schritte nach dem Krieg, wo Beamtengewerkschaften in Aktionen versuchten etwas durchzusetzen — was auch geklappt hat“.

bz

Asmus Nitschke, „Arbeit und Streik bei der Bremer Post 1950-1990“, Steintor Verlag, DM 10.-

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