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...doch die im Dunkeln sieht man nicht

■ In der Liga Nordost liebäugeln drei Berliner Klubs mit dem Aufstieg in den Profifußball: 1. FC Union, Rotation und Bergmann-Borsig/ Größter Gegner ist die Schar von Spielervermittlern, die auf den Trainingsplätzen herumlungert

Ein Gerücht kursiert: Die Spieler von Hertha BSC und dem FC Berlin, den führenden Fußballklubs der Stadt, dröhnen derzeit in ihren Autos mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Straßen. So hoffen sie, wenigstens in Flensburg zu punkten. Derart aussichtslos ist ihre Tabellensituation in der Bundesliga bzw. der Oberliga Nordost. Jeder Marienkäfer hat mehr Punkte als beide Eliteteams zusammen.

Nur in der zweitklassigen Liga Nordost scheint die Phalanx der Hauptstädter noch ungebrochen. Einträchtig liegen der 1. FC Union, Rotation sowie Bergmann-Borsig an der Spitze der Staffel A. Alle drei Vereine besitzen damit gute Aussichten auf die Relegationsspiele um die freiwerdenden Plätze im gesamtdeutschen Profifußball 1991/92. „Der Meistertitel in der Liga ist unser erklärtes Ziel“, strotzt Union- Manager Pedro Brombach vor Selbstvertrauen. Sogar Blau-Weiß- Manager Michael Sziedat, der um die Fusionshand der Wuhlheider anhielt, mußte vor der Dickköpfigkeit der Unioner den Hut ziehen. „Die wollen das alleine versuchen“, resignierte Sziedat. „Ende der Saison“, hält Brombach dagegen, „kann man mit uns über alles reden.“

Bis dahin hält sich der Ostberliner Traditionsverein, der einzige, der keinem DDR-Kombinat untergeordnet war, allein über Wasser. „Hauptwerbeträger“ ist das Kabelwerk Oberspree (KWO), das in der vergangenen Saison noch eine eigene Betriebsmannschaft an den Start schickte. Kleinere Sponsoren tragen ihr Scherflein zum Ein-Millionen- Etat des 1. FC Union bei, aus dem freilich alle 20 Mannschaften des Klubs von der Alten Försterei gespeist werden. Zum Vergleich: der klassenhöhere FC Berlin hat für seine Oberligatruppe 1990/91 acht Millionen Mark veranschlagt.

Manager Brombach hofft am Ende der Durststrecke „Liga Nordost“ auf die Oase „Zweite Bundesliga“ zu stoßen: „Im Moment haben die Leute andere Sorgen als den Fußball. Viele sind arbeitslos, niemand weiß, wie es weitergeht.“ Auf 1.500 Zuschauer pro Heimspiel hat sich die Publikumsresonanz bei Union mittlerweile eingependelt. „In der Zweiten Bundesliga kämen bestimmt 5.000 pro Spiel, um die neuen Gegner zu sehen.“ Mit ihnen zahlungswillige Sponsoren, denn „wir haben bereits potentielle Geldgeber an der Hand, die jedoch nur im Falle des Aufstiegs einsteigen“, sieht Brombach einen vagen Silberstreif am Horizont. Inzwischen muß der Union- Macher die „Hyänen“ vertreiben, die in Gestalt zahlreicher Talentspäher aus den alten Bundesländern um die herrliche Fußballarena in Köpenick streunen.

Die Flucht nach oben tritt auch Liga-Rivale Rotation an. Mit einem Saisonbudget von „deutlich weniger als einer Million Mark“, will Manager Bruno Rudolph die vormalige Betriebself der Staatsdruckerei in professionelle Gefilde hieven. Vor dieser Saison profitierte der Klub aus Spindlersfeld noch selbst von ruinierten Zweitkläßlern. Rudolph verpflichtete gezielt Spieler aus der Konkursmasse von Dynamo Fürstenwalde sowie KWO Berlin und ließ sein Team an die Tabellenspitze rotieren. „Wir spielen, solange das Geld reicht“, betätigt sich Rudolph als Fußballdramaturg, „danach hilft nur der Rat der Götter.“

Aber er hat die Hoffnung keineswegs aufgegeben: „Der Aufstieg ins Profilager würde zweifellos Geldgeber anlocken und unsere Existenz sichern.“ An den Abstieg in die Anonymität der Amateure wagt Rudolph erst gar nicht zu denken, denn auch im Ernst-Grube-Stadion treten sich schon Spielervermittler aus der Bundesliga und der Schweiz gegenseitig auf den Geldbeutel. Sie verfolgen vor allem die Taten des Linksaußen Kai Wendschlag, der sich bereits in den bundesdeutschen Juniorenkader U 21 gedribbelt hat. Ist der Profizug für Rotation erst einmal abgefahren, rennt auch die 20jährige Offensivkraft Wendschlag davon.

Nur im Pankower Nordend scheint die Welt noch in Ordnung. „Bei Bergmann-Borsig träumt zwar jeder heimlich von der Zweiten Bundesliga. Doch niemand geht das Ziel realistisch an“, meint Thomas Scholz, Cheftrainer des Tabellendritten. Daß er mit seinem Kader im Konzert der Großen mitspielen kann, ist die Überraschung der Saison. Die Elf der Namenlosen, verspricht Scholz, „wird sich weiterhin Mühe geben, das Ziel Profifußball zu erreichen. Wenn es dazu kommen sollte, ergeben sich neue Perspektiven.“ Falls nicht, geht der Klub auch nicht unter. Mit Bolle hat BB bereits einen Hauptsponsor aufgerissen, nachdem der Maschinenhersteller Bergmann-Borsig wegen ökonomischer Kalamitäten „seiner Unterstützung nicht mehr in vollem Umfang nachkommen konnte“ (Scholz). Aber amüsieren tun sich trotz Bolle nur selten mehr als sehr wenige Zuschauer an der Blankenfelder Straße.

Nicht einmal eine halbe Million investiert der seit März 1990 selbständige Verein in seinen aktuellen Liga-Betrieb. „Drei bis vier Profivereine verträgt Berlin“, schätzt Trainer Scholz, als wolle er seine Aufstiegsambitionen im Interesse der kickenden Allgemeinheit zurückstellen. „Nein, so ist das nicht gemeint. Aber ich glaube, daß die Berliner Vereine mehr über Fusionen nachdenken sollten.“ Ein altes Lied, das nach dem Mauerfall nicht harmonischer klingt als vor dem 9. November. Denn: Wie kreuzt man einen Marienkäfer mit einem Schraubstock aus dem Hause Bergmann-Borsig. Jürgen Schulz

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