: Doppelte Null-Lösung
■ Puccinis „Tosca“ im Züricher Opernhaus
Galapremiere im Züricher Opernhaus. Am Pult Nello Santi. Für 118 Schweizer Franken bekommt man einen Platz in der letzten Reihe des ersten Rangs und vor allem eine Säule von hinten zu sehen. Aber sie fügt sich gut ins Bild (von Hubert Monloup): Auch da unten auf der Bühne steht das Mobiliar vergangener Epochen sperrig herum. Ein barocker Altar, halb von der Seite, die Rückwand eines Seitenschiffs — recht getreu jener Kirche in Rom nachempfunden, in welcher der Maler Mario Cavaradossi im Juni des Jahres 1800 an einem großen Marienbild gearbeitet haben soll. Dabei ist nicht einsichtig, warum der namhafte Künstler sein Bild an einer Stelle malt, die von den Opernbesuchern mühelos, von den potentiellen Kirchgängern aber nur unter großen Verrenkungen betrachtet werden kann. Der Opernrealismus erhält durch das Bedürfnis der Protagonisten, an der Rampe zu singen und dem Souffleurkasten nahe zu sein, entschiedene Grenzen.
Alfred Muff mimt in Zürich den Baron Scarpia, den berüchtigten Polizeichef in der Papststadt. Die Mischung aus Noblesse und Verkommenheit, strategischer Raffinesse und lebensgieriger Angriffstaktik gelingt ihm gut: Die Attacke scheint eher der Prominenz der Sängerin Floria Tosca als den körperlichen Vorzügen der sie verkörpernden Sophia Larson zu gelten. Um so unverständlicher, warum Cavaradossi diese stabile Frauenstatue zum Objekt seiner Leidenschaft erwählte. Der Wandel des Schönheits- und Frauenideals jedenfalls ist in keiner Weise vermittelt.
Die Engelsburg in Rom, eine weitere Hauptdarstellerin, erscheint zunächst als riesiger Wandteppich in Scarpias Dienstzimmer, in dem er den wegen Beihilfe zur Gefangenenbefreiung festgenommenen Maler Mario verhört (und auf übliche Weise in einem Seitenkabinett foltern läßt), in dem er die Tosca durch Erpressung gefügig zu machen trachtet, und in dem die Primadonna sich dann des Schwerenöters durch einen wohlplazierten Dolchstoß entledigt. Nach der etwas verzerrten Abbildung dann im dritten Akt die Nachbildung der Dachterrasse jener Festung, auf welcher der Maler exekutiert wird und von der sich das Gesangsmöbel ins bessere Jenseits stürzt. Fast ebenso geschmackvoll und pseudohistoristisch haben wir das alles schon in Dortmund, Bonn und auf anderen Provinzbühnen gesehen. In den identischen Kulissen in Bremen.
Was nur mag das renommierte Opernhaus in Zürich, um das es in der ersten Hälfte der achtziger Jahre erhebliche Auseinandersetzungen und fast einen kleinen Bürgerkrieg in der Schweizer Metorpole gab, bewogen haben, diese Produktion von der deutschen Nordseeküste in das qualitätsbewußte Milieu der Bankiers und ehrbaren Handelsleute zu verpflanzen? Denen freilich, die da so tief in die Taschen greifen für ihren linden „Kunstgenuß“, hat es so gefallen: Sie stellen mit dem eidgenössischen Selbstbewußtsein und dem diskreten Charme des großen Geldes auch eine denkwürdige Vorliebe für stehengebliebenen Geschmack zur Schau.
Nicht einmal das ist neu. Als das ehrwürdige Haus nach den deftigen Krawallen und der gründlichen Renovierung Mitte der achtziger Jahre wieder in Betrieb genommen wurde, setzte man — neben der Linie der gefällig zubereiteten Operetten — den von Nikolaus Harnoncourt und Jean- Pierre Ponnelle begonnenen Mozart- Zyklus fort. Auf die Werke der Gattung opera seria — Idomeneo, Lucio Silla und Mitridate, die an der erfolgreichen Prachtentfaltung des vom selben Duo in Szene gesetzten Monteverdi-Zyklus anknüpfte — erwies sich Anfang 1985 die Entführung aus dem Serail als ein bloßes Remake der für das Kölner Opernhaus entwickelten Entführung — und die Grenzen, derart Barocktheater zu reanimieren, traten deutlich zutage. Bei der Zauberflöte, 1986, ließ Harnoncourts musikalischer Zugriff (wie jetzt zuletzt beim Zigeunerbaron) aufhorchen, aber auch diese Ponnelle-Inszenierung war im wesentlichen eine Kopie: bei der vom Vielfachverwerter Ponnelle für die Salzburger Festspiele geschaffenen angelehnt. Erst 1989, als der aus Kuba stammende Brite John Dew La clemenza di Tito am Zürichsee herausbrachte, wurde durch die Bühnenbilder von Gottfried Pilz ein neuer Horizont angedeutet, in dem die Schärfe und Eloquenz der Harnoncourt-Interpretation wieder verblüffend wirkte.
Tosca erscheint nach diesem ermutigenden Schritt als schiere Regression. Die aber mag den Verantwortlichen nicht einfach unterlaufen sein, sondern geschah im tiefen Einklang mit den Bedürfnissen der Geschmacksträgerschicht: Im längst obsolet gewordenen schönen Schein soll sich der teuer zahlende Gast sonnen dürfen, auch wenn die barocken Prunkstücke auf der Bühne weder in sich stimmig noch für eine hintergründigere Spielweise der schrecklich linearen Geschichte hilfreich sind. Es ist ein Zurück zu jenen international schon fast standardisierten Puccini-Bebilderungen, die seit längerem auf den Opernbühnen ihren Moderduft verbreiten. Fehlt nur noch, daß im Rahmen der allseitigen Abrüstungsbemühungen auch eine internationale Konferenz für das Musiktheater einberufen wird und diese Koproduktion der Opernhäuser in Bremen und Zürich als allgemeine Norm vereinbart: Eine doppelte Null-Lösung jedenfalls ist diese Tosca wahrlich. Frieder Reininghaus
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