piwik no script img

Der Kampf um den Durchblick

■ Brit Wiedemann, 97fache DDR-Nationalspielerin im Volleyball, gab in Bremen ihr gesamtdeutsches Debüt PRESS-SCHLAG

Vereinigung“. Auch Brit Wiedemann kann das Wort nicht mehr hören. Die 23jährige Angreiferin vom SC Berlin hat bisher 98 Volleyball-Länderspiele bestritten, 97 mal stand sie für die DDR auf dem Feld und jetzt einmal für die BRD. Das war beim „historischen Ereignis“ gegen die Weltcup-Gewinnerinnen aus Kuba. Zum ersten Mal spielte eine gesamtdeutsche Frauschaft — die Männer waren ihnen da einige Wochen voraus — aber das Unternehmen „gemeinsam sind wir stark“ ging voll daneben.

Im Zusammenspiel wollte es gar nicht klappen, Eigenfehler und athletische Mängel bestimmten die Leistung des neuformierten Teams. Statt eines neuen „Wir- Hochgefühls“ ist erst einmal harte Knochenarbeit angesagt. „Wir müssen erst einmal zusammenfinden“, heißt das dann.

Frau Wiedemanns Gefühle im schwarz-rot-goldenen Trikot mit dem Adler drauf sind dennoch recht positiv. Eine Ost-West-Hierarchie gebe es nicht, versichert sie, auch wenn es durchweg die ehemaligen Ost-Spielerinnen sind, die sich anpassen müssen und nicht etwa umgekehrt. 23 Niederlagen hatte die BRD-Auswahl gegen das Hammer-und-Zirkel-Team einstecken müssen, gewonnen hatten sie nicht ein einziges Mal.

Aber das ist nun Schnee von letzem Jahr, jetzt geht es um die Zukunft. Brit Wiedemann hat es nicht wie viele ihrer Team-Kolleginnen gemacht, die zum Beispiel nach Lohof oder Münster wechselten. Sie blieb bei ihrem Stammverein in Berlin. Ressentiments empfindet sie nicht, „Verräterinnen“ gibt es für sie nicht. „Das muß jede für sich entscheiden, jetzt bei den Spielen beim Bremer Turnier denken wir sowieso nicht an so etwas.“ Aber umstellen mußte sie sich doch gehörig. Nach wie vor studiert sie am Institut für Lehrerbildung in Berlin, sie möchte Unterstufenlehrerin werden. Aber der Sonderstudienplan, der ihr sportliches Weiterkommen ermöglichte, ist mit Gleichschaltung der Systeme ein Privileg, das es nicht mehr gibt. Jetzt muß sie jeden Tag zur Fachschule und kann nur noch abends trainieren. Bis vor einem Jahr bekamen ihre Ausbilder noch Anweisungen von den Sport-Funktionären, wenn es der Trainingsplan erforderte, wurde das Studium halt um ein weiteres Jahr verlängert.

Der SC Berlin wird zwar mittlerweile von einem Autohersteller gesponsort, aber für Brit Wiedemann springt dabei auch nicht viel mehr als ein kleines Wohngeld und eine minimale Aufwandsentschädigung heraus. Mehr Zeit oder längeren Urlaub hat ihr die „Vereinigung“ nicht gebracht. 14 Tage Freizeit im Jahr sind immer noch das Optimum, von der Hansestadt Bremen hat sie beim Internationalen Turnier 1991 nichts gesehen, auch ohne die Bewacher, die sonst ihre Schritte registrierten. Für sie stehen Konstanz und Konzentration im Mittelpunkt.

Brit Wiedemann hat vielleicht sogar auf das richtige Pferd gesetzt, denn dem SC Berlin werden in der kommenden ebenfalls vereinigten Frauen-Volleyball-Bundesliga gute Chancen eingeräumt. Wenn dann bei entsprechenden Erfolgen auch mehr Sponsorengelder fließen, könnte sich die Entscheidung der jungen Spielerin sogar als weise heraustellen. Bis dahin kämpft sie um einen Stammplatz, um Perspektiven und einen Durchblick. Jürgen Francke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen