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Freie Demokraten im Höhenrausch

Nach ihrem guten Bundestagswahlergebnis zeigt sich die FDP auf ihrem „Dreikönigstreffen“ selbstbewußt/ Im Genscher-Wahlverein dreht sich nur noch das Personalkarussell/ Lambsdorff beharrt auf Sparmaßnahmen  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

„Im vergangenen Jahr ist die Saat vieler Jahre liberaler Politik aufgegangen — vor allem in der Außen- und Wirtschaftspolitik.“ Selbstbewußt wie schon lange nicht mehr präsentiert sich die Grafenrunde um den Vorsitzenden Lambsdorff beim diesjährigen Schaulaufen der FDP an Dreikönige. Die Zeiten, in denen die Freidemokraten reihenweise aus den Länderparlamenten kegelten, gehören der Vergangenheit an; der Kamm ist durch das gutes Wahlergebnis vom Dezember sichtlich geschwollen. Angesichts der „Überwindung der Ost-West-Konfrontation“ kommt selbst der Wirtschaftsgraf zum Räsonieren, nicht ohne jedoch deren Gelingen von den marktwirtschaftlichen Reformen in den durch sozialistische Mißwirtschaft krisengebeutelten Staaten Osteuropas abhängig zu machen und allen die FDP- Wunderwaffe anzupreisen: „Liberale Tugenden der Eigeninitiative, der Verantwortungs- und Risikobereitschaft“. Aber auch innenpolitisch fühlen sich die Liberalen im Aufwind. Einen Tag vor der entscheidenden Runde in den Koalitionsverhandlungen werden noch einmal die Forderungen der FDP in die Medien hinausposaunt.

Vor allem im Kampf gegen drohende Steuererhöhungen will sich die FDP von niemandem übertreffen lassen. Die durch die Einheit entstandenen Budgetdefizite, die nach Auffassung Lambsdorffs mittelfristig wieder abgebaut werden müssen, will die FDP durch Ausgabenkürzungen stopfen: Dazu sollen die Zonenrand- und Berlinförderung gestrichen und bei Verteidigungsausgaben und Subventionen gespart werden. Widersprüchliche Äußerungen werden mit polternder Kundgebungsrhetorik kaschiert: „Eigentlich wären sogar Steuersenkungen angebracht“, so Lambsdorff, doch dies lasse die angespannte Haushaltslage derzeit nicht zu. Zum Jahreswechsel hatte Lambsdorff bereits erkennen lassen, daß die FDP über eine Mineralölsteuererhöhung mit sich handeln lassen könnte, dem Koalitionär CSU aber gleichzeitig brieflich mitgeteilt, es bleibe beim Nein zu einer Bonner Inkassopolitik.

Noch einmal bekräftigte die FDP ihre Forderung nach einer Unternehmenssteuerreform sowie dem „Niedrigsteuergebiet“ in der ehemaligen DDR. Des Grafen ultimative Forderung soll nun auch die Einkommen der Arbeitnehmer einbeziehen: Auf die Einführung ertragsunabhängiger Steuern soll verzichtet und die Lohn-, Einkommens- sowie Körperschaftssteuer in dem Fördergebiet gesenkt werden, wobei über die Höhe des Abschlags diskutiert werden könne. Beim Niedrigsteuergebiet wird die FDP vom Deutschen Industrie- und Handelstag und dem BDI unterstützt.

Die Liberalen setzen in der Bundesregierung weiter auf einen „klaren Kurs der marktwirtschaftlichen Erneuerung“, dessen Schwerpunkte bei der Deregulierung und dem Subventionsabbau liegen werden. In Stuttgart zeigte Lambsdorff, daß er wirtschaftspolitischer Motor der FDP bleiben will. Die Wirtschaftspolitik ist neuerdings auch das Steckenpferd des unaufhaltsamen Aufsteigers und designierten Wirtschaftsministers Jürgen Möllemann, der bereits fleißig Nationalökonomie und Marktwirtschaft büffelt. Möllemann möchte gerne Ökonomie und Umweltschutz verbinden und hat sich die ökologische Marktwirtschaft zum Ziel gemacht. Dabei dürfte er Lambsdorff bald in die Quere kommen, der bislang eher als umweltpolitischer Bremser in Erscheinung getreten ist.

Außenminister Genscher sorgt sich derweil mehr um die drohende Kriegsgefahr am Golf als um Kanzlerwahl und Kabinettsvereidigung. Er will alle diplomatischen Möglichkeiten innerhalb und außerhalb der EG nutzen, um Hussein zum Einlenken zu bewegen. Denn die Entschlossenheit, dem Völkerrecht Geltung zu verschaffen, so Genscher auf dem Dreikönigstreffen, dürfe die Weltgemeinschaft nicht in die Automatik des Krieges verstricken. Genscher soll das in Genf stattfindende Gespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten Bush und dem irakischen Außenminister Asis eingefädelt haben.

Von Konturen liberaler Politik weitgehend bereinigt, dreht sich im Genscher-Wahlverein nur noch das Personalkarussell. Lambsdorff wird längst öffentlich demontiert — nicht zuletzt durch die Ankündigung Möllemanns sowie des hessischen FDP- Chefs Wolfgang Gerhardt, den Grafen 1993 als Vorsitzenden beerben zu wollen. Kaum ein Tag vergeht, ohne daß neue Namen für Regierungsämter auftauchen. Der frühere Chef der Ost-Liberalen, Ortleb, als Bildungsminister; Adam-Schwaetzer oder Hermann Solms auf einen zusätzlichen Kabinettssessel, je nachdem, wer von beiden die Wahl zum Fraktionsvorsitz verliert. Burkhard Hirsch, Statthalter liberaler Innenpolitik, hat sich für das Justizministerium beworben — wahrscheinlich jedoch vergebens. Engelhards Justizstaatssekretär und ehemaligem BND-Chef Klaus Kinkel werden bessere Chancen eingeräumt. Die Südwest-FDP, der die liberale Führungscrew aus dem Ruhrpott längst ein Dorn im Auge ist, wittert bereits einen nordrhein-westfälischen Schacher um den begehrten Kabinettsposten. Dabei zeigt sich in Baden- Württemberg, einst Stammland der Liberalen, die Personal- und Führungskrise der FDP am deutlichsten: Der Landesparteitag wählte am Samstag den Mannheimer Bundestagsabgeordneten Roland Kohn zum neuen Vorsitzenden — dem fünften in den vergangenen sechs Jahren. Kohn, der sich gegen den FDP-Abrüstungsexperten Olaf Feldmann in einer Kampfabstimmung durchsetzen konnte, folgt dem Bonner Landwirtschaftsstaatssekretär Georg Gallus, der als Amtsverweser für den gestürzten Fellbacher OB Kiel in die Bresche gesprungen war. Dem neuen Vorsitzenden, der als Qualifikation angab, das ganze Land bereist zu haben, drohen bereits ernsthafte Probleme: Zum einen hält sich der nach der letzten Landtagswahlschlappe als Vorsitzender abgesägte Suttgarter Fraktionschef Walter Döring nach wie vor für erste Wahl; zum anderen fürchten die Liberalen bei den Südwestwahlen in einem Jahr angesichts der „Bonner Grausamkeiten“ eine deftige Quittung.

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