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Ab jetzt wird die HO verscherbelt

■ Wer am meisten bietet, kann ehemalige HO-Gaststätten oder -Läden ergattern/ Die Listen der zum Verkauf anstehenden Einrichtungen liegen bis zum 21.1. in der Schneeglöckchenstraße aus

Berlin. In der Berliner Niederlassung der Treuhandanstalt in der Schneeglöckchenstraße herrschte gestern morgen großes Gedränge: Im Erdgeschoß können seither die Listen von 130 großen und mittleren Gastronomiebetrieben sowie 80 größeren Einzelhandelsgeschäften der ehemaligen volkseigenen Handelsorganisation (HO), die zum Verkauf ausgeschrieben sind, in Augenschein genommen werden. Die Ausschreibung läuft noch bis zum 21. Januar, 12 Uhr. Erst danach wird die Treuhandniederlassung nach Anhörung eines Gremiums von Vertretern der Industrie- und Handelskammer, Senat und Bezirk über die Gebote der Kaufinteressenten entscheiden.

Obwohl kein Grund für Eile besteht, gingen bereits gestern 15 Angebote von Interessenten ein. Sehr zur Überraschung des für die Ausschreibung verantwortlichen Direktors Jürgen Renker: »Ich habe gedacht, daß sich die Leute das Ganze genauer überlegen und erst in der nächsten Woche ihr Angebot machen«, erklärte er gegenüber der taz. Um was für Objekte es sich bei den 15 Angeboten handelt, vermochte Renker nicht zu sagen. Die Unterlagen bleiben bis zum 21. Janaur unter Verschluß. Die Listen der zur Privatisierung anstehenden Gaststätten und Geschäfte sind lang. Von der Weinstube Ganymed am Schiffsbauerdamm, dem Wiener Cafe in der Schönhauser Allee, dem Restaurant im Fernsehturm und dem Müggelturm am Müggelsee über diverse Bekleidungs- und Lebensmittelgeschäfte, Drogerien und Kioske ist vieles zu haben. Die Bedingung: Man muß einen guten Riecher haben, wieviel das Ojekt wert ist, einen entsprechenden Kapitalnachweis erbringen und sich mit der Übernahme des beschäftigten Personals einverstanden erklären.

Man muß einen guten Riecher haben

Außerdem muß man sich verpflichten, das Geschäft in ähnlicher Art fortzuführen — »aus einer Drogerie kann keine Bank gemacht werden« (Renker) —, und Erfahrungen im Einzelhandel- oder Gaststättengewerbe mitbringen. Nach Angaben von Renker sollen die Geschäfte und Gaststätten »meistbietend« verkauft werden. Was für Preisangebote für die einzelnen Objekte gemacht werden müssen, um als Kaufinteressent Chancen zu haben, verrät die Treuhandanstalt bei der Ausschreibung jedoch nicht. Aus den ausliegenden Listen geht lediglich hervor, wie groß die Verkaufs- und Lagerflächen oder die Gaststättenräume sind, wem das Gebäude gehört und wie viele Personen dort beschäftigt sind. Den Zeitwert der Einrichtung, die übernommen werden muß, kann der Kaufinteressierte zur Not noch anhand eines gleichfalls ausliegenden Katalogs ermitteln. Den »immateriellen Geschäftswert« muß er jedoch selbst in Erfahrung bringen. Renker findet das aber nicht problematisch, weil sich die Interessenten mit den bisherigen Geschäftsführern der zum Verkauf anstehenden Einrichtungen unterhalten könnten. Wer unternehmerisch denken könne, werde schon ein qualifiziertes Angebot erbringen, ist der Treuhanddirektor überzeugt.

Der Vertrag sieht nach Angaben des Treuhanddirektors so aus, daß zunächst ein dreijähriger Gewerbemietvertrag erteilt wird. Er beinhaltet jedoch die Option, innerhalb der nächsten zehn Jahre zweimal verlängert werden zu können.

Daß keine genauen Preisvorstellungen geäußert und die Listen nur aufgeklebt auf den Tischen begutachtet werden können, rief bei den Kaufinteressenten — die zur Hälfte aus dem Westen kamen — gestern großen Ärger hervor. Interessierte Ostberliner äußerten die Befürchtung, daß sie mit den Geboten der Westler nicht mithalten könnten. Sie erinnerten sich mit Wehmut an die Zeiten vor dem 3. Oktober: Da ging es beim Verkauf von 60 kleinen Geschäften und Lokalen noch nicht nach der Größe des Geldbeutels, sondern nach den Wünschen des Personals. Kostengünstig kaufen konnten vor dem 3. Oktober auch Großunternehmen wie Hertie, Leiser und Meyer. Sie handelten mit den Warenhauskonzernen der alten DDR kurzerhand Verträge aus, die weiterhin Gültigkeit behalten sollen. plu

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