: „Sie können nicht alles kontrollieren“
■ Der chinesische Regimekritiker und Astrophysiker Fang Lizhi zur Opposition in China/ Menschenrechte weiter in der internationalen Diskussion halten INTERVIEW
Gerade jetzt, da China in den Hintergrund der internationalen Diskussion gerückt sei, müßten die Chinesen im Ausland weiter mit aller Kraft für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrer Heimat eintreten, forderte der Astrophysiker Fang Lizhi am Sonntag in Berlin. Fang, Jahrgang 1936, galt den Greisen in Peking als „Hauptverschwörer der Konterrevolution“, als Anstifter der Demokratiebewegung im Frühling 1989. Nach dem Massaker floh Fang mit seiner Frau Li Shuxian in die US-Botschaft in Peking, um einer Verhaftung zu entgehen. Nach über einem Jahr wurde dem Ehepaar im Juni 1990 die Ausreise nach England gestattet. Einen Tag nach Bekanntwerden der ersten Urteile gegen Anführer der Demokratiebewegung betonte Fang bei einer Diskussion mit chinesischen Studenten, es sei um so notwendiger, die Aktionen der Dissidenten im Ausland weiterzuführen, als angesichts der Repression in China die Entstehung einer organisierten Opposition sehr langwierig sei. Einen „chinesischen Gorbatschow“, der eine Reformbewegung innerhalb der Partei anführen könnte, gibt es in China noch nicht, meint der Regimekritiker.
taz: Am Wochenende wurde bekannt, daß die Urteile gegen einige der Studentenführer der Demokratiebewegung auf zwei bis vier Jahre Gefängnis lauten.
Fang Lizhi: Im Vergleich mit den Urteilen, die vor etwa zehn Jahren in Peking gefällt wurden, ist das Strafmaß eher niedrig. Das zeigt, daß die Regierung weiterhin um ihr Ansehen im Ausland besorgt ist.
Kann es eine neue Demokratiebewegung in China geben? Oder hat die Regierung mit der Unterdrückung der Intellektuellen Erfolg gehabt?
Ich glaube, eine Studentenbewegung ist immer noch möglich. Was heißt das denn: erfolgreiche Unterdrückung? Im chinesischen Radio und in den Zeitungen wird nicht über die Meinung der Intellektuellen berichtet. Aber die Führung kann nicht alles kontrollieren. Daß auf der ZK-Sitzung Ende Dezember die Frage nach dem politischen Schicksal von [Ex-Parteichef] Zhao Zhiyang verschoben wurde, zeigt, daß die Führung entscheidungsunfähig ist. Der Machtkampf ist noch nicht ausgetragen. Solange Deng lebt, wird er die Macht kontrollieren. Ein Comeback Zhaos wird sehr schwer sein.
Ist denn die KP noch flexibel genug, eine Reform von innen zu vollziehen?
Das ist schwer vorauszusagen. Ich kann nur sagen, daß die nächste Generation in der KP im Durchschnitt besser sein wird als die derzeitige Führung. Wohlgemerkt, nur der Durchschnitt, ich meine keine spezielle Person. Li Peng ist sehr konservativ. Aber die Jungen sind mehr daran interessiert, ihr Image zu wahren. Sie haben nicht mehr soviel Macht wie die Alten, deren Einfluß noch aus dem Bürgerkrieg und dem langen Marsch herrührt.
Sie werden jetzt in die USA gehen, an die Universität von Princeton. Werden Sie dort die Aktivitäten anderer Dissidenten unterstützen?
Ich werde mich vielleicht an ihren Aktivitäten beteiligen. Aber ich werde mich aus den Organisationen heraushalten. Ich sehe mich eigentlich nicht als Integrationsfigur der oppositionellen Kräfte. Vielleicht bin ich eine Art geistiger Anführer, aber kein Organisator. Interview: Stephan Bachenheimer
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