Hafenstraße-Urteil
: Fristlose Kündigung rechtens

■ Die seit zehn Jahren umkämften Häuser in der Hafenstraße dürfen geräumt werden. Das Landgericht Hamburg erklärte am Montag die fristlose Kündigung für rechtmäßig. Bewohner und Unterstützer kündigten an, man werde „nicht einfach gehen“.

Auf Hamburg kommen bewegte Wochen zu. Das von den BewohnerInnen befürchtete und von Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) erhoffte Räumungsurteil in Sachen Hafenstraße ist ergangen. Eine Zivilkammer des Hamburger Landgerichtes erklärte gestern die dritte von insgesamt fünf fristlosen Kündigungen gegen den „Verein Hafenstraße“, der die umstrittenen bunten Häuser seit November 1987 gepachtet hat, für rechtmäßig. Damit hat der seit April 1989 währende Rechtsstreit um die „schwärende Wunde“ (Voscherau) ein vorläufiges Ende gefunden. Auch wenn der Verein Hafenstraße angekündigt hat, in die Berufung zu gehen, wird eine zweitinstanzliche Fortsetzung des Prozesses wohl vor dem Hintergrund von Trümmergrundstücken stattfinden.

Denn politisch besteht der feste Wille, nicht nur die BewohnerInnen, sondern auch die Häuser loszuwerden. Eine Räumung soll mit dem Abriß verbunden werden. Die notwendigen Abrißgenehmigungen existieren seit kurz vor Weihnachten. Streng geheim, unter Umgehung der sonst mit derartigen Entscheidungen befaßten Gremien des zuständigen Bezirks, wurden die Abrißgenehmigungen auf Grundlage eines Bebauungsplanes erteilt, der eigentlich nur noch formale Bedeutung hatte. Denn die Hochhauspläne aus den 70er Jahren wurden durch ein Konzept ersetzt, das am Hafenrand Wohnen vorsieht und keine Aussage über Abriß oder Erhalt der Häuser macht. Doch ließ der Senat diesen 1986 vom Bezirk beschlossenen Plan in der Schublade schmoren und brachte ihn nie in die Bürgerschaft ein, womit die alten Hochhausplanungen weiterhin gültig sind.

Sowohl die Ausschaltung der bezirklichen Gremien wie auch der Abriß auf Grundlage eines stadtentwicklungspolitisch obsoleten Planes mögen nicht ganz die feine hanseatische Art sein, sie sind jedoch legal. Rechtlich zumindest umstritten ist hingegen, ob die nun für rechtmäßig erklärte Kündigung des Pachtvertrages mit dem Verein automatisch die Räumung für die einzelnen Mieter beinhaltet. Dies Problem wäre dann noch vor dem Hintergrund zu sehen, daß der Vertrag von vielen Mietrechtsexperten für sittenwidrig gehalten wird, da er so etwas wie die Wiedereinführung der selbst bei der Bundeswehr verbotenen Kollektivbestrafung vorsieht. Denn das Schicksal von rund 130 Hafenstraßenbewohnern wird darin vom Verhalten Einzelner abhängig gemacht. Konkret: Wird eine Gewalttat aus einem der Häuser heraus begangen, kann dies zur Vertreibung aller Mieter führen.

Und so ist es jetzt geschehen. Nachdem sie vorher ein ums andere Mal in die weitere Beweisaufnahme eingestiegen war, weil ihr die vorgetragenen Kündigungsgründe nicht ausreichend und die Zeugenaussagen nicht eindeutig genug erschienen, hat die vorsitzende Richterin Inge Walter-Greßmann nun entschieden, daß eine Leuchtkugel, die aus einem Hafenstraßenhaus auf Polizisten abgefeuert worden sein soll, und der beschmierte Mantel eines Betrunkenen, der nach Pöbeleien mit einem Farbbeutel beworfen worden war, die fristlose Kündigung rechtfertigen. Beides sind Vorfälle aus dem Sommer 1989.

Mit dem gestrigen Räumungsurteil soll dem Rechtsstaat offensichtlich genüge getan worden sein. Das geht jedenfalls aus den Stellungnahmen der Koalitionspartner SPD und FDP hervor. Sie sehen sich am Ende des „rechtsstaatlichen Räumungsweges“. Denn die Berufungsverhandlung will Voscherau auf keinen Fall mehr abwarten. Er hatte kürzlich mehrfach betont, daß er sein Versprechen, nicht mit der Hafenstraße in die nächste Legislaturperiode gehen zu wollen, einzuhalten gedenke. Die Wahlen sind am 2. Juni. Geht es nach dem Chef der eigens für die Beendigung des Wohnprojektes gegründeten „Hafenrand GmbH“, Wolfgang Dirksen, so werden die Häuser allerdings schon in sechs bis acht Wochen geräumt — und dann auch abgerissen — sein.

Unwahrscheinlich ist, daß Voscherau sich jetzt noch von einer Warnung seines niedersächsischen Kollegen Schröder wird abschrecken lassen. Dieser hatte Voscherau vergangene Woche am Rande von Verhandlungen über ein Hafenprojekt an Mompers Schicksal in Berlin erinnert: „Eine Räumung ist kein Wahlkampf-Hit. Nicht bei unserer heterogenen Wählerschaft.“ Voscherau entgegnete darauf lediglich, daß er den eingeschlagenen Räumungsweg zu Ende gehen werde.

Am Ende sieht sich offenbar auch ein Großteil der Betroffenen. Nicht der Schlachtruf „zum letzten Gefecht“ hallte gestern durch die dem Gericht benachbarte Gnadenkirche, in der man sich nach dem Urteil zusammensetzte: Eine Mischung aus Resignation und Enttäuschung hing zwischen den Kirchenbänken. Die Erklärung, daß man „nicht einfach gehen werde“, wurde mit belegter Stimme verlesen. Zwar hatten die HafensträßlerInnen mit diesem Urteil gerechnet. Aber der Beobachter hatte gestern trotzdem den Eindruck, daß plötzlich Lebensperspektiven wie Seifenblasen zerplatzten. Zwar hat man schon immer gewußt, daß „die Schweine“ einen weghaben wollten, aber nun sollte es plötzlich konkret werden. „Jetzt ist alles aus“, entfuhr es einem Bewohner. Und eine Frau nickte ihm stumm zu. Hamburg wird erleben, was passiert, wenn sich die BewohnerInnen vom ersten Schock erholt haben. Kai Fabig, Hamburg