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Letztes tschernobilesisches Aufflackern

■ Mein kleines Vorkriegs-Tagebuch: 3. Folge

8.Januar:

Multi-ethnische Vorkriegswerbung: Mein bevorzugter Gemüsehändler ist Vietnamese und hat seinen Laden auf dem Ku'damm. Bei den Mieten, aber der Laden läuft. Gestern zeigt der lächelnde Schlitzi plötzlich auf einen Berg israelischer Kiwis und ruft mit seiner hellen Stimme: »Kaufen Sie, solange noch gibt!«

»Ich hab's«, sagt Christian. Jetzt hat's ihn auch erwischt. Sitzt an seinem Zeichenbrett. Malt aber keine Häuser, sondern kybernetische Modelle. »Über die Naturschützer bin ich drauf gekommen.« Er zeigt auf seine aufgemalten Kästchen. Ich finde, sie sehen aus wie immer, bloß ausführlicher beschriftet. Langsam begreife ich dann.

Am letzten Wochenende haben sieben (!) Natur- und Umweltschutzverbände (!) zu einer Demonstration in Oldenburg aufgerufen. 200 (!) Demonstranten sind gekommen, um den Abflug der deutschen Luftkriegstruppe in die Türkei zu verhindern. So weit das Faktische. Christian: »Ist doch klar, daß ein drohender Giftgaskrieg...« — »Gi-Ga-Kri«, unterbreche ich ihn, »... daß so ein Chemo-Krieg die Ökos...«, haspelt er aufgeregt weiter. »... noch dazu, wenn die Bohrlöcher brennen, das kommt ja alles wieder runter. Und dann habe ich vorhin wieder so einen Film über Arabien gesehen, und klick! hat's gemacht: In der Wüste stehen ja keine Bäume. Alles anorganisches Material, außer den satanischen Irakis. Und was nimmt man für den schonenden Umgang mit Bohrlöchern, Fabriken, Pipelines? Was ist noch nie richtig ausprobiert worden? Was geht schnell und belastet die Nachkriegskasse am wenigsten? Richtig — die Neutronenbombe.« Der Schonwaschgang für den Ernstfall!

Verspätete Neujahrspost von Margret und Anna mit ganz neuen Umgangsformen. »Mein Hauptwunsch«, schreibt Anna, »kein Krieg!« Und Margret: »Möge er noch abgewendet werden.« Das wünschen sie mir anstatt eines guten neuen Jahres.

Vorübergehender Stillstand einer widerständlerischen Karriere: Anruf von Helmut. Wohnt immer noch im Taunus. Ist über sich selbst besorgt. Findet, er tut nichts, und möchte mal darüber sprechen. Typisches Sozialisationsproblem. (Eben anders als Manuela, bei der die Nachricht von einem Flugzeugabsturz die gleiche leidenschaftliche Anteilnahme auslöst wie der Bericht über eine Kenzo-Modenschau oder das Gemetzel auf dem Platz des Himmlischen Friedens.) Helmut war schon als Schüler bei den 68ern aktiv: Später Wyhl-Großorganisator; Mitbegründer vom Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten (taz-Vorläufer), danach Bio-Landwirtschaft; letztes Aufflackern tschernobilesisch: ißt zur Zeit umweltschonend, ferner einmannunternehmender Landhausrestaurateur. Hat auch diesen Fernsehbericht über internationales Peace-Team gesehen — sehr beeindruckt. »Und was mache ich?«, fragt er mich. Nächste Woche renoviert er in Hamburg, danach baut er im Taunus ein Haus um, und dann fährt er nach La Palma (Kanaren). Das geht doch eigentlich nicht, sagt er. Irgendwas müsse man doch tun. Ich kann ihn verstehen. »Schließlich«, sagt Helmut, »habe ich zu Weihnachten 500 Mark an Karlheinz Böhm für die Hungerhilfe in Afrika überwiesen.« Christel Ehlert-Weber

Wird bis zum 16.Januar täglich fortgesetzt.

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