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Mordversuch mit dem Hubschrauber

■ Nachtrag zur Rheinbacher Knastrandale vom Oktober 1990

Am Nachmittag des 2.Oktober 1990 kam es während der Freistunde zu einer spontanen Demonstration der in den Höfen der Haftsanstalt versammelten Gefangenen, für eine Teilamnestie wie in der DDR und für allgemein menschenwürdigere Haftbedingungen.

Nachdem ein Gefangener das Dach der Anstalt bestieg, faßten über 100 Gefangene, jeder für sich und selbstbestimmt, den Entschluß, das Dach ebenfalls zu besteigen. Innerhalb kürzester Zeit waren wir dann dort oben versammelt. Unser Forderungskatalog bezog sich auf Strafverkürzungen im Rahmen einer Amnestie und außerdem auf

—Abschaffung der Isolationshaft beziehungsweise Hochsicherheitstrakte,

—Zusammenlegung der politischen Gefangenen,

—Realisierung des Resozialisierungsprogramms von 1976,

—keinerlei Repressalien gegenüber den Teilnehmern an der Demonstration seitens der Justiz und der Justizanstalt,

—Anpassung der Arbeitslöhne an die tariflich ausgehandelten des freien Marktes, Sozial- und Rentenversicherung etc.,

—eine bessere Besuchsregelung sowie eines Gespräches am runden Tisch.

Da alle Punkte des Katalogs von vornherein vom Justizministerium rigoros abgelehnt wurden und zusätzlich den Gefangenen auf dem Dach jegliche Nahrung, Getränke sowie Kleidung und Decken entzogen wurden, entschlossen sich einige Gefangene ein komplettes Dach abzudecken beziehungsweise die Lichtdurchlässe aus Glas zu zerstören.

Als wir am 3.Oktober in allen Punkten immer noch abgewiesen wurden — dies geschah durch ein Gespräch mit der Anstaltsleitung, mit dem Sprecher für Justiz Dr.Hirsch und zweier Anwälte —, wurde das Dach des gesamten A-Flügels zerstört. Es folgten weitere Gespräche ohne Resultat, darum wurde das Dach vom B-Flügel zur Hälfte zerstört.

Während der Dachbesteigung gab es eine Reihe zum Teil schwerer Verletzungen, zumeist Knochenbrüche wegen einiger Abstürze oder Schnittwunden wegen diverser Glasbrüche. Ca. 15 Gefangene waren davon betroffen und mußten darum das Dach verlassen, um ambulant behandelt zu werden. Vor Erschöpfung gaben nach und nach viele Gefangene das Dach auf. Dies lag zum Teil am Nahrungs- und Getränkeentzug (obwohl die Mitgefangenen aus dem Hause in vorbildlicher Weise den Nachschub größtenteils sicherstellten), zum Teil aber auch am permanenten Regen und eiskalten Wind, der demoralisierende Wirkung hatte.

Ca. 20 Gefangene hielten jedoch aus bis zum Abend des 5.Oktober, als größere Polizeiaufgebote, SEK- Einheiten und zwei mit SEK-Einheiten besetzte Hubschrauber den Angriff auf uns begannen. Wir zogen uns auf das Kirchendach zurück, welches durch die Polizei nicht direkt eingenommen werden konnte. Sie versuchten mit den Hubschraubern, ihre SEK-Kräfte auf das Dach einzufliegen, was ihnen nicht gelang. Ich saß ungesichert auf einem Dachvorsprung, als sie versuchten, mich mit dem Hubschrauber zu töten. Der Pilot steuerte seine Maschine bis nur einen Meter über mich, wollte mich mit den Windstößen des Rotors in die Tiefe stürzen (15 Meter). Dem entging ich gerade noch, weil sich meine Hand zufällig auf einer im Beton verankerten Eisenstange stützte und nur im letzten Moment noch zugreifen konnte.

Über der Kirche befand sich ein Zwischendach, das als ehemaliger Taubenschlag benutzt, uns vorzüglichen Unterschlupf gegen die Wetterbedingungen bot und den die SEK- Einheiten versuchten, von unten zu stürmen, während sie gleichzeitig oben ihren Angriff starteten. Jemand von uns verhinderte dies, indem er zu verstehen gab, das Dach anzuzünden, falls dies geschähe. Ich gab diesen Sachverhalt an die Polizeikräfte weiter, damit nicht Menschenleben in Gefahr gerieten, denn unsere Parole war vom Anfang bis zum Ende: Keine Gewalt (Sachschäden wurden in der Verschärfung des Konfliktes ausgenommen und als Antwort auf die Eskalationspolitik des Justizministeriums verstanden).

Nachdem die Polizei einsehen mußte, daß das Dach gewaltsam nicht einzunehmen war (ich und ein Mitgefangener waren bereit, uns in die Tiefe zu stürzen, falls dies geschah), boten sie uns Verhandlungen an. Herr Pfarrer Bell unterbreitete uns, daß wir über die Leiter der Feuerwehr hinunterkommen könnten, wir nicht gefesselt oder mißhandelt würden und daß das Gespräch über unsere Forderungen nach unserer Aufgabe erst vorbereitet wird, wobei die Behörden fünf Leute von uns dazu aussuchen würden. Wer sonst noch daran teilnimmt, würde auch von den Behörden bestimmt.

Ich glaubte dies nicht und vermutete einen Trick, um uns zur Aufgabe zu bewegen. Also forderte ich Herrn Bell auf, er möge dieses Angebot vor der Anstalt und durch einen Lautsprecher eines Polizeifahrzeuges wiederholen. Ich war mittlerweile mit einem Mitgefangenen allein auf dem Dach. Ein dritter Gefangener saß noch auf dem Kamin des Wirtschaftsgebäudes und er gab am Nachmittag des nächsten Tages erst auf. Herr Bell ging auf den Vorschlag ein, beziehungsweise der Einsatzleiter des SEK ermöglichte das öffentliche Gespräch. Ich konnte mit einem Megaphon antworten und die Zeugen der Vereinbarung waren die Schaulustigen, die anwesende Presse unter anderem. Von einem Gespräch war nun aber plötzlich keine Rede mehr, sondern es hieß lediglich, daß Herr Bell und andere Menschen dafür sorgen würden, daß die Diskussion um die Mißstände innerhalb des Vollzuges und der Vollzugsanstalten nicht abreißen wird und auch die Amnestiefrage weiter verfolgt würde. Zumindest an diesem Punkt sind wir beschissen worden beziehungsweise unsere Kameraden ließen sich vom Dach locken und wie sie unten waren, wurde der Punkt wieder fallengelassen.

Ich wußte schon, warum ich es öffentlich machen wollte, denn wer weiß, ob die anderen Punkte gehalten worden wären ansonsten. Wie Brecht schrieb: „Die im Dunkeln sieht man nicht“, hier umgemünzt: Was im dunklen Hinterhof und ohne Zeugen vereinbart wird, ist für die unverbindlich.

Unter uns hatte die Feuerwehr mittlerweile ein großes Sprungkissen aufgeblasen. Wir verzichteten darauf, dort hineinzuspringen. Bevor wir freiwillig vom Dach gingen, sagte ich: „Die Würde des Menschen, die in uns ruht, ist weder von der Polizei, von einer Armee, von der Justiz, noch von den Ministerien zu besiegen. Der Kampf geht weiter!“ [...] H.G.Funk, jetzt JVA Bielefeld

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