: „Menschenrechte sind keine Munition“
■ Die Menschenrechtsorganisation amnesty international dokumentiert, daß kein Staat, der in die Krise am Golf verwickelt ist, sich zur Rechtfertigung von Kriegsvorbereitungen auf die Menschenrechte berufen darf/ Schwere Verstöße sind allgegenwärtig
Berlin (taz) — Nicht nur im irakisch besetzten Kuwait, sondern in der gesamten Region gehören Menschenrechtsverstöße zum Alltag — ohne daß dies in den vergangenen Jahren Anlaß zu einer Neuorientierung der Politik gewesen wäre, schreibt amnesty international (ai) in einer Dokumentation, die eine Woche vor Ablauf des UN-Ultimatums an den Irak veröffentlicht wird. Amnesty kritisiert die unterschiedlichen Maßstäbe, die von Regierungen in den USA und Europa je nach wirtschaftlichen, politischen oder strategischen Interessen angelegt worden sind. „Wer jetzt auf Menschenrechtsverletzungen des Irak verweist“, so amnesty international, „muß sich fragen lassen, was er vor der Annexion Kuwaits getan hat, um die Menschenrechte im Irak zu schützen“, etwa als die irakische Armee im März 1988 mit Giftgasangriffen allein in der kurdischen Stadt Halabdja 5.000 Menschen ermordete.
Iran: Im Iran werden seit vielen Jahren auf gravierendste Weise Menschenrechtsverstöße begangen. Im Dezember legte ai einen Bericht vor, der vor allem die in den letzten drei Jahren vollzogenen mehr als 5.000 Hinrichtungen beklagte. Ihr fielen meist Menschen zum Opfer, die das Regime als Oppositionelle bezeichnete. Zwischen Juli 1988 und Januar 1989 wurden über 2.000 politische Gefangene exekutiert, ohne daß es auch nur den Anschein rechtsstaatlichen Vorgehens gegeben hätte. Auch grauenhafte Folter gehört zum Alltag.
Irak: Auch im Irak werden die Menschenrechte mit Füßen getreten. Tausende Menschen befinden sich aus politischen Gründen in Haft, darunter viele, die niemals Gewalt angewendet oder befürwortet haben. Tausende politisch Mißliebige sind während des achtjährigen Krieges gegen den Iran „verschwunden“, aber auch Tausende irakische Kurden wurden von den Sicherheitskräften verschleppt und sind nie wieder aufgetaucht, so 1983 8.000 Angehörige des kurdischen Barzani-Clans.
Kuwait: Vor der irakischen Okkupation des Emirats am 2. August kritisierte ai vor allem die Inhaftierung Oppositioneller ohne faires Verfahren. Berichte sprechen von Folterungen in der Haft. Unter dem Vorwurf, einen Umsturz geplant zu haben, sind zwischen September 1989 und Mai 1990 ungefähr 40 Kuwaitis, darunter mindestens 30 Schiiten, inhaftiert worden, manche nur für wenige Tage, andere bis zu neun Monaten. Berichten zufolge sind mehrere von ihnen gefoltert worden, um „Geständnisse“ zu erpressen. Die meisten wurden im März 1990 ohne Anklageerhebung freigelassen.
Jordanien: 50 Jahre lang — von 1939 bis 1989 — konnten die jordanischen Behörden vermeintliche oder tatsächliche Regierungsgegner ohne Anklage und Gerichtsverfahren in Haft halten. Zu den mittlerweile freigelassenen Häftlingen gehören unter anderen Mitglieder verschiedener Oppositionsgruppen, wie die Organisation der Volksfront, der Jordanischen Kommunistischen Partei, der PLO, der Islamischen Befreiungspartei und Sympathisanten schiitischer Gruppen. Sie waren alle im Hauptquartier des berüchtigten jordanischen Geheimdienstes in Haft.
Aus der Geheimdienstzentrale und dem gefürchteten Swaqa-Gefängnis sind laut ai bereits früher Berichte über Folterungen zugegangen: Häufig erwähnt werden Schläge auf die Fußsohlen, Peitschenhiebe und Schläge mit Kabeln. Eine hinreichende Untersuchung der Übergriffe in staatlichem Gewahrsam hat es nach Kenntis von ai trotz der vorläufigen Aussetzung der Notstandsbestimmungen bis heute nicht gegeben. Zwar wurden viele der Gefangenen nach der Ankündigung rechtlicher Reformen im Dezember 1989 freigelassen, doch haben die Behörden nach wie vor die Möglichkeit, politische Häftlinge auf unbestimmte Zeit ohne Verfahren in Haft zu halten.
Syrien: Seit 1963 gilt in Syrien eine Notstandsgesetzgebung, die den verfassungsrechtlichen Schutz von Meinungs-, Rede- und Religionsfreiheit und das Verbot der Folter außer Kraft setzt. Das Ergebnis: Tausende willkürlicher Verhaftungen, selten nach einer rechtskräftigen Verurteilung. Viele sitzen ohne Verfahren bereits seit zwei Jahrzehnten oder länger hinter Gittern. Gefährdet sind vor allem Mitglieder der Partei für Kommunistische Aktion, der KP, der Moslembruderschaft, der DFLP, der Bewegung Islamische Einheit und der proirakischen Arabisch-Sozialistischen Baath-Partei.
Zum Vorwurf der Folter und Mißhandlung schweigt die Regierung, obwohl in Syrien systematisch unter körperlichen Torturen verhört wird: Elektroschocks, Schläge auf die Fußsohlen, Auspeitschungen und zahlreiche andere Foltermethoden sind üblich.
Saudi-Arabien: Wer in Saudi- Arabien in den Verdacht der politischen Opposition gerät, riskiert Haft und Folter. Von 1983 bis 1989 wurden ai über 700 solche Fälle bekannt. Betroffen sind vor allem Sympathisanten schiitischer Oppositionsgruppen. Politische Parteien und Gewerkschaften sind in Saudi-Arabien verboten. In den ersten Tagen der Haft wird geradezu routinemäßig mißhandelt oder gefoltert: Schläge auf die Fußsohlen, Aufhängen an den Handgelenken, Schlafentzug, Elektroschocks und Schläge auf den ganzen Körper sind üblich und führten in einigen Fällen zum Tod der Gefangenen. Erschreckende Ausmaße hat der Terror seit Ausbruch der Golfkrise insbesondere gegen jemenitische Fremdarbeiter angenommen. Seit dem 19. September werden sie systematisch vertrieben. Hunderte mußten in behelfsmäßig eingerichteten Haftzentren Mißhandlungen erdulden.
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