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Eine Akademie für Arbeitslose?

■ Niedersachsen will mit Millionenprojekt zum sechsten deutschen „Filmland“ werden/ Die Filmszene protestiert

Die deutschen Filmschaffenden haben es nicht leicht mit Kulturpolikerinnen rot-grüner Regierungen. Nach Anke Martiny in Berlin steht nun die niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Helga Schuchardt (parteilos), im Kreuzfeuer der Kritik.

Im Oktober hatte das niedersächsische Kabinett die Filmförderung für 1991 im Haushaltsentwurf von geplanten 8,5 Millionen DM (bei Gleichstellung der kulturellen mit der wirtschaftlichen Filmförderung) radikal auf zwei Millionen DM gekürzt. Mittlerweile hat Ministerin Schuchardt — wider besseres Wissen — alte Pläne der Albrecht-Regierung aufgewärmt und will mit Millionenaufwand eine „Film- und Fernsehakademie Hannover GmbH“ aufbauen. Die Zahlen, die für dieses Objekt angegeben werden, differieren zwischen 21 und 40 Millionen DM Kosten bis 1994.

Zum Semester 1992/93 jedenfalls soll die Filmakademie ihren Lehrbetrieb aufnehmen und Producer, Produktionsleiter, Fernsehregisseure und -autoren, Kostüm- und Maskenbildner ausbilden. Aber auch so typische „Filmberufe“ wie Messebautechniker oder Medien-Marketing können dann dort erlent werden.

Die alten Albrecht-Pläne für die Akademie basieren auf der Studie „Medienschwerpunkt Hannover“ von Prof.Dr.Dr.Thomas Jaspersen von der FH Hannover, Fachbereich Kunst und Design. Diese Studie ist in vielen Punkten schlecht recherchiert und beinhaltet wissenschaftlich nicht beweisbare Behauptungen, wie die Annahme, es gäbe einen großen Bedarf an Filmhochschul-Absolventen. Zudem erstaunten Gedankengänge wie z.B.: „Um Drehbücher zu schreiben, könnte es durch Weiterentwicklung intelligenter Animationssysteme Laien möglich werden, computergenerierte Darsteller in einer komplexen Umwelt bewegen zu können. Langfristiges Ziel wäre die Möglichkeit, dramaturgische Handlungen in ,realen Szenarien‘ mit Hilfe des Computers in Form eines Drehbuchs ,schreiben‘ zu können.“

Nachdem es in Deutschlnd bereits Filmhochschulen in Berlin, München und Potsdam-Babelsberg gibt, zudem Filmklassen an circa 40 Kunst-, Fach- und Gesamthochschulen, ist der Aufbau weiterer Filmhochschulen in Ludwigsburg (Baden-Württemberg), Köln und Hamburg umstritten. FBW-Direktor Steffen Wolf schreibt zu der neuen Akademie in Ludwigsburg: „...läßt vermuten, daß sich ein Kunstprofessor und ein Ministerium einen Traum erfüllen wollen, dabei aber die Medienpraxis und die Medienlandschaft [...] gründlich verkennen.“

In der zehnköpfigen Arbeitsgruppe für die neue Filmakademie Hannover sitzt neben Regierungsvertretern und Hochschulprofessoren kein einziger Praktiker. Dazu kann auch Frithjof Zeidler nicht gezählt werden, denn als Vorsitzender der Geschäfsführung der Hamburger „Polyphon“ bedient er primär den Verwaltungsbereich und zudem allzu offensichtlich die Interessen seiner Firma an der geplanten Akademie. Die „Polyphon“ wird als einer der Gesellschafter der Filmakademie GmbH gehandelt und taucht zudem im Ausgabenplan der Akademie als Dienstleiter auf. Wenn man die Verflechtungen der „Polyphon“ mit dem „Studio Hamburg“ berücksichtigt und weiß, daß dort der Messebau-Sektor expandiert, dann wird klar, warum gerade an einer Filmakademie Messebautechnik gelehrt werden soll.

Die niedersächsische Filmszene, voran die Verbände „Film und Medienbüro Niedersachsen“, „LAG Film Niedersachsen“ und die „Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm“ wendet sich entschieden gegen die Pläne für die neue Akademie. Außer der stark bezweifelten Notwendigkeit für das Projekt besticht vor allem folgendes Argument: Die möglichen Absolventen der Akademie haben in Niedersachsen gar keine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden. Denn es gibt hier nur etwa zwei Dutzend Produktionsfirmen, die sich hauptsächlich mit der Herstellung von Werbe- und Wissenschaftsfilmen beschäftigen. Kinofilme oder Fensehspiele werden in Niedersachsen so gut wie nicht produziert. Der NDR z.B. weigert sich seit Jahren, entsprechende Aufträge zu vergeben, weil er seine Hamburger Töchter- und Töchter- Töchter-Firmen wie „Studio Hamburg“ und „Polyphon“ versorgen muß.

Auf Wahlkampfveranstaltungen hatte Helga Schuchardt noch wissen lassen, daß „die geplante Film- und Fernsehakademie in Hannover keinen Sinn mache, solange Absolventen in Niedersachsen keine Beschäftigung finden. Niedersachsen könne es sich nicht leisten, den Nachwuchs für die Filmzentren Hamburg, München und Berlin auszubilden“. Gerade dies scheint nun das Konzept der Ministerin zu sein.

Bei wem bloß steht sie im Wort, daß sie sich an die eigenen Worte nicht mehr erinnern mag? Die Grünen im niedersächsischen Landtag jedenfalls scheinen die bestehenden Pläne nicht ohne eine öffentliche Anhörung mittragen zu wollen. Und die FDP, die in der Albrecht-Regierung die Pläne für die Filmakademie mitgetragen hatte, hat noch im Dezember im Landtag den Stopp der Pläne und eine ausführliche Bedarfsanalyse gefordert.

Daher hat die niedersächsische Filmszene berechtigte Hoffnungen, daß ihre Konzepte sich durchsetzen werden und auf das teure Projekt Filmakademie verzichtet werden wird. Auch wenn das Kabinett bereits eine Gründungsprofessur bewilligt hat und erste Mittel für die technische Ausstattung schon geflossen sind. Die Konzepte der Filmszene sehen vor allem weit mehr Mittel vor, um eine kontinuierliche Produktionstätigkeit zu ermöglichen. Zudem wird die Förderung von Verleih, Abspiel und Festivals verlangt und die Einrichtung von Medienwerkstätten. Aus- und Weiterbildung soll im Rahmen von zielgerichteten Workshops mit international anerkannten Dozenten geschehen. Denn es macht keinen Sinn, neue Studenten zur Ausbildung nach Hannover zu holen, während Niedersachsens Filmschaffende gleichzeitig um Arbeitsmöglichkeiten kämpfen müssen. Und eine teure Filmakademie — die Folgekosten werden auch nicht unerheblich sein — macht Niedersachsen nicht selbstverständlich zu einem Filmland der Republik. Jean-Paul Raabe

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