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Afrikas Diktatoren werden vergessen

■ In Somalia geht dieser Tage eine weitere afrikanische Gewaltherrschaft zu Ende

Siad Barre, langlebiger Diktator im ostafrikanischen Somalia, ist gestürzt. Auch wenn noch unklar ist, ob er sich noch in seinem Bunker im Flughafen von Mogadischu aufhält oder das Land schon verlassen hat — sein Volk hat ihn entmachtet. Die endgültige Machtergreifung der Opposition ist nur noch eine Frage der Zeit. Siad Barre ist nach Liberias Samuel Doe und Tschads Hissein Habre nun schon der dritte afrikanische Diktator in vier Monaten, der im In- und Ausland isoliert und daher verjagt wird. In unabhängigen afrikanischen Staaten war der Sturz von Regierungen durch Guerillatruppen bisher so gut wie unbekannt — doch nun scheint er zur Regel zu werden.

Dies ist eine direkte Konsequenz aus dem Niedergang des auch in Afrika ausgetragenen Ost- West-Konflikts. Jahrzehntelang überlebten Barre wie auch seine Kollegen dadurch, daß sie die Hand aufhielten: Im Handel mit dem Westen war das Gespenst des Marxismus-Leninismus einträglicher als jedes Exportgut. Die eine Supermacht zahlte, damit es die andere nicht tat. Mit dem Ende des Kalten Krieges ist der Marktwert afrikanischer Diktatoren praktisch auf Null gesunken; es gibt keinen Grund mehr für Franzosen, Amerikaner oder Kubaner, ungeliebte Schützlinge zu verteidigen. Afrika wird vergessen — und die ersten Opfer des Vergessens sind die Despoten des Kontinents. Erst das Desinteresse der Weltpolitik hat die gegenwärtige Welle von Tyrannenstürzen möglich gemacht. Somit zielen diejenigen Europäer, die sich über die Vernachlässigung Afrikas seitens des reichen Nordens beklagen, in die falsche Richtung. Fatal für Afrika ist nicht der Rückzug des Nordens, sondern der vielerorts anzutreffende Voyeurismus, der die Konflikte des Kontinents ausschließlich als Stammeskämpfe zwischen Barbaren mißdeutet und seine Aufmerksamkeit an der Menge des vor Kameras vergossenen Blutes orientiert. Damit wird nur die Idee der Demokratie von vornherein entwertet und der Nährboden für erneute Einmischung — diesmal im Namen europäischer Werte — geschaffen.

Diejenigen, die Samuel Doe, Hissein Habre und Siad Barre entmachteten, taten es nicht, um Schreckensherrschaften zu errichten, sondern um sie zu beenden. Hinter dem Sturz der afrikanischen Tyrannen liegt der Wunsch, ein gesellschaftliches Selbstbewußtsein wiederzufinden, anstatt sich auf dem Strich der Weltpolitik zu prostituieren. Für Europa ist dies, und nicht das von manchen Medien verbreitete Phantom blutrünstiger schwarzer Horden, das Afrika-Bild, welches an die Stelle der Ost- West-Stellvertreterkriege treten sollte. Dominic Johnson

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