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Sechser-Pack für Radio 100

■ Benefiz-Konzert im Ecstasy

Als Benefiz bezeichnet man eine Vorstellung von Künstlern zugunsten Notleidender. Diesmal treten die Künstler für die Überlebenskünstler vom Radio 100 an. Seit mehr als einem halben Jahr mühen sich so an die zwei bis drei Dutzend Leute, der umsichgreifenden Medienmediokrität etwas Hörbares entgegenzusetzen. Und sei's nur mit einer Dauer-Rave-Attacke die Sylvesternacht durch oder mit dem frotzelnden »Kenner, Köpfe, Kommentare«-Samstagsmagazin.

Mit Hirn, Hingabe und Hinterlist schleust man sich in den engen Räumen einer Altbauwohnung in der Potsdamer Straße durch die täglichen Tücken des Äthers, die nicht nur Sendelöcher und leere Kaffeetassen sondern zunehmend auch leere Portemonnaies heißen.

Die monetäre Konsolidierung ist zum Hauptproblem des Senders geworden. Ein Problem freilich, welches den Programmachern selbst paradoxerweise am wenigsten anzulasten ist. Wem denn, mag sich der geneigte Hörer fargen. Simple Frage, schwierige Antwort. Hierüber zu schreiben, heißt etwas falsches zu schreiben. Denn selbst für Insider stellt sich die Interessen- und Machtverteilung zunehmend als ein gordischer Knoten dar. Der berüchtigte Hieb, so vermutet man immer noch, kommt aus Frankreich und wird vom Inhaber der sehr erfolgreichen Privatkette NRJ geführt.

Dem Großteil der Radio 100-Belegschaft, die ihrerseits im sog. »MitarbeiterInnenverein« zu einem Drittel beteiligt ist, schmeckt dieser juvenile Sendepirat nicht recht. Man fürchtet um das Programmprofil und um die Arbeitsplätze. So ist der seit Wochen laufende Spendenaufruf genauso wie die Benefiz-Party als ein verzweifelter Rettungsversuch zur Bewahrung der Selbstständigkeit zu verstehen — ein Rettungsversuch, der allerdings im Wettlauf steht mit dem zu erwartenden positiven Votum des Kabelrats zur NRJ-Beteiligung.

Auch wenn der Benefiz-Gedanke einer nüchternen Betrachtung des finanziellen Bedarfs von Privatradios nur schwer standhält — man denke nur an das Desaster in Baden-Württemberg — so wäre er doch eine Basis für Überlegungen Richtung Hörerbeteiligung. Unter der Voraussetzung eines selbstkritischen Frühlingsputzes räumt man dem Sender durchaus an die 10 bis 12% Höreranteil ein.

So ist also die Radio 100-Benefiz-Party wirklich die Benefizveranstaltung für den derzeit besten Zweck, wie ein Radio-Jingle frech wissen läßt. Das haben auch die Berliner Bands zu Gehör bekommen, die selbstverständlich längst verstanden haben, daß das kleine Radio in der Potsdamer Straße eines ihrer wenigen Foren ist.

Just aus diesem Grund haben sich daher Element Of Crime, Die Art, Frog Sandwich, Goronchos, Loaded, sowie die Ruhrpottkombo The Bates für ein Benefiz bereiterklärt.

Element Of Crime existieren tatsächlich schon seit fünf Jahren und dürften mittlerweile ebenso bekannt sein wie die ursprünglich aus Leipzig stammende Die Art, beide ihrerseits ingeniöse Vertreter der Subszenen West bzw. Ost.

Frog Sandwich waren kürzlich mit einer Nummer aus ihrer selbstverlegten Debutplatte wochenlang in den Radio 100-Zoffcharts, in die die jungen Goronchos früher oder später auch noch vordringen werden, da auch sie ihr Debut gerade auf den Markt geworfen haben. Was beiden Bands gemein zu sein scheint, ist die klammheimliche Vorliebe für den Country, der sich bei Frog Sandwich im Song »Ben Cartwright war ein Gummibär« und bei den Goronchos in einer generellen Verneigung vor Johnny Cash ausdrückt. Live freilich nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Hier zählen Schweiß und Hingabe, wie man sie von einer sehr schwarzen Rockabilly-Band oder jener irischen Soulband, die Roddy Doyle in seinem Buch »Dublin Beat« schildert, erwarten dürfte.

Das gleiche im Punk: Loaded. Entstanden aus den Bands Beton Combo und Sick Pleasure. Sozusagen die »Roots« des Berliner Punkrocks. Sollten sie bei der Namensgebung auch nur im entferntesten an das vierte Velvet Underground-Album gedacht haben, so sind sie bereits zu den Gewinnern des Abends zu zählen.

Wenn auch der eigentliche Geheimtip für dieses Sixpack-Benefiz aus dem Ruhrpott kommt: The Bates. »Ein Speedjunkie, ein Erzstudie und einer, der aussieht wie ein Doppelwhopper mit Pudelmütze«, wie ein Kenner die Bates charakterisiert. Kathartischer Lärm, ein Begriff, der oft im Zusammenhang mit Hüsker Dü gebraucht wird, hier aber tatsächlich seine Berechtigung haben soll.

Wer sich fragt, was das eigentlich für Leute sind, die dieses Radio 100 hören, der braucht nur ins Ecstasy zu gehen, dort wird er die Antwort vorfinden. Joseph Pichelmaier

Ab 21 Uhr im Ecstasy.

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