: Mister President: Einen Krieg zu führen ist rückschrittlich
■ Ein offener Brief des US-amerikanischen Schriftstellers E.L. Doctorow („Billy Bathgate“) an Präsident Bush/ Plädoyer für die Fortsetzung des Embargos
Sehr geehrter Herr Präsident,
als die Vereinten Nationen Sanktionen gegen den Irak verhängten, war dies äußerst ungewöhnlich: Ein Weltparlament fällte ein praktisch einstimmiges Urteil gegen die Raubzüge eines Gaunerstaates und ließ diesem Urteil dann auch Taten folgen.
Aufgrund internationaler Vereinbarungen wurden Truppen entsandt, um die Grenzen Saudi-Arabiens zu schützen, und Verbote wurden mit militärischen Mitteln zu Wasser und in der Luft durchgesetzt, um den Irak mit ökonomischer Strangulierung zu bestrafen. Und es war die Regierung der USA, Ihre Administration, die diesen Erfolg erdacht und erzwungen hat.
Ich frage mich, warum Sie nicht begreifen, was für eine großartige Sache Sie geleistet haben. Diese Aktion der UNO, die erste größere Aktion internationaler Kooperation seit dem Ende des Kalten Krieges, war keine bloße Wiederholung früherer Fälle, wo Sanktionen verabschiedet wurden. Alte Bündnisse wurden überwunden, alte Feindschaften wurden verworfen. Es gibt darin ein moralisches Ziel: die Rückgabe von Diebesgut; und es gibt einen moralischen Weg, um das Ziel zu erreichen: die Verweigerung der ökonomischen Partnerschaft. Die Größe dieser Aktion liegt darin, daß sie in einer Zeit zerfallender realpolitischer Weltstrukturen erfolgt — eine Zeit, in der neue Strukturen ihr Gesicht aus dem Verlauf der geschichtlichen Ereignisse erhalten.
Der Krieg, Herr Präsident, gehört zu den Optionen Saddam Husseins, weil er aus der barbarischen Vergangenheit stammt. Sie haben die Chance, eine Zukunft zu schaffen, in der auf einem immer kleineren Planeten Technologie sich abmüht, die Zerstörungen früherer Technologien zurechtzurücken, und die Bedürfnisse jedes einzelnen Staates auch die Bedürfnisse aller werden — Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, Boden und Klima zum Nahrungsmittelanbau, und nichtentfremdete, alphabetisierte Staatsbürger, um die Zivilisationen eines demokratischen Planeten voranzubringen.
Angesichts dessen ist es auf eine tragische Weise rückschrittlich, die Truppenzahlen zu erhöhen und nur in militärischen Kategorien zu denken. Während wir uns dem 21. Jahrhundert nähern, wird es sonnenklar, daß kein Mensch auf der Welt die inhärente moralische Autorität hat, andere Menschen in den Tod zu schicken. Es ist philosophisch nicht mehr möglich. Ein Staatsoberhaupt ist kein Häuptling. Er darf auch kein Fanatiker sein.
Es war George Washington, der, weise vorausblickend, entschied, die Inhaber Ihres Amtes als Mr. President anreden zu lassen. Und es war George Washington, der entschied, daß es bei uns keine Könige geben soll. Herr Präsident, Sie regieren nicht im Auftrag Gottes. Sie sind nicht ordiniert. Sie sind ein „Mister“. Wenn Sie keinen überirdischen Stammbaum beanspruchen, können Sie sich nicht einfach in die ethische Rechtfertigung einer Militäraktion steigern, die möglicherweise 80.000 jungen Amerikanern den Tod bringen könnte. Oder 8000. Oder 800. Ich habe von Ihnen nicht gehört, daß es hier um unser nacktes Überleben und um unsere nationale Identität geht. Ein Staatsoberhaupt ist nicht mehr befugt, außerhalb unseres nackten Überlebens ein nationales Interesse zu artikulieren, welches den Tod 80.000 junger Frauen und Männer erfordern würde.
Das letzte derartige Vorkommnis — lang, lang ist's her — wird heute in gestrenger Feierlichkeit zelebriert, auch, könnte man meinen, im Geiste der Buße, mittels dieses dunklen Granitdenkmals mit den Namen der Vietnam-Toten, das nicht weit von Ihrem Büro steht. Erklären Sie mir doch, warum diese Soldaten starben. Welchem dringenden nationalen Interesse diente ihr Tod? Wir haben ganze Krankenhäuser voll von lebenslang verwundeten und gelähmten Veteranen dieses Krieges. Welche realpolitische Analyse des ehemaligen Außenministers Kissinger, der jetzt als TV-Weiser wieder den Blitzkrieg einfordert, wurde durch die nachfolgende Geschichte unserer nationalen Sicherheit und Zufriedenheit bestätigt? Sagt er jetzt über die Domino-Theorie, auf der er einst in seiner Weisheit so starr beharrte, daß 50.000 Menschen einer Generation starben, damit er selbst sich nun auf hochkarätigen Dinners herumtreiben kann?
Man sagt mir, daß wir kürzlich mit den Vietnamesen über die Rückgabe unserer Kriegsvermißten gesprochen haben. Mit diesen Schrecken des asiatischen Kontinents findet so etwas wie ein normaler diplomatischer Austausch statt. Und nördlich von Vietnam gibt es immer noch eine monolithische kommunistische Regierung in China, die tut, was kommunistische Regierungen immer tun, aber soweit ich erkennen kann, betrachten Sie China mit einer Leidenschaft, die der eines Verkäufers für seinen Kunden gleicht.
Ich frage mich: Gönnen Sie sich eigentlich irgendwann die stillen, einsamen Stunden, welche diese Situation erfordert? Werden Sie alleine gelassen? Haben Sie Zeit zum Nachdenken? Nachdenken ist sogar für Menschen mit normalen Verpflichtungen schwierig. Können Sie eigentlich nachdenken? Machen Sie etwa den Fehler zu meinen, daß Sie die 400.000 von Ihnen in die Wüste entsandten Truppen in den Kampf schicken müssen, falls Ihr Ultimatum ignoriert wird, um einen Gesichtsverlust zu vermeiden? Ich würde gern wissen, wessen Gesicht Sie verlieren würden. Machen Sie sich etwa vor, es wäre nicht kriminell, in den Krieg zu ziehen, um Ihr Gesicht zu wahren? Ich würde gerne wissen, wessen Gesicht Sie wahren würden. Nationen sind keine Menschen. Nationen haben kein Gesicht — sie haben eine Geschichte, sie haben Verfassungen, aber sie haben kein Gesicht. Vielleicht verwechseln Sie sich selbst mit der Nation und denken an Ihr eigenes Gesicht. Aber wenn ich der Führer einer Nation wäre, wäre mir jede persönliche Demütigung willkommen, falls ich damit das Leben eines einzigen 18jährigen Soldaten retten könnte. Ich würde mich freuen, in ewiger Schande zu leben, wenn dadurch ein einziger Lahmer aufstehen könnte.
Die Ehre einer modernen Nation ist nicht die Ehre eines Kriegers; sie ist die Ehre eines Vaters, der für seine Kinder sorgr, die Ehre einer Mutter, die für ihre Kinder sorgt. Ist dies nicht die wahre Bedeutung des ansonsten seltsamen inneren Zusammenbruchs des sowjetischen Superstaates und des Sturzes seiner Satellitenregierungen in Osteuropa: die universelle Wahrnehmung der Forderungen, die von der Aufklärung des 21. Jahrhunderts gestellt werden?
Aber wenn Sie nun doch den Stahlhelm aufsetzen wollen, lassen Sie mich einen Rat geben: Die Sanktionen und das Embargo der UNO stellen schon eine Militäraktion dar. Sie heißt „Belagerung“. Wie alle Militärführer seit biblischen Zeiten begriffen haben, ist die Belagerung die preiswerteste aller Militärstrategien. Sie bringt dem Feind langsames, aber unausweichliches Verderben, ohne daß die eigenen Kräfte gefährdet werden. Der Feind überlebt eine Zeitlang mit seinem eigenen Fett, und dann ergibt er sich oder er verhungert. Und man muß nichts mit ihm verhandeln, weil er nicht mehr in der Lage ist zu verhandeln.
Mit Ihnen freue ich mich auf den Tag, an dem Saddam Hussein und alles, was er vertritt, im Wüstensand begraben wird. Alles was wir tun müssen ist: still und stumm in unseren Rüstungen stehen und zuschauen. Und weiterzublicken und zu betrachten, was für eine Welt des 21. Jahrhunderts wir mit Gottes Hilfe erschaffen könnten.
Hochachtungsvoll
Ihr E.L. Doctorow
Übersetzung: D.J.
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