: Der geläuterte Parasit
■ Radprofi Greg LeMond will 1991 sein Image verbessern PRESS-SCHLAG
Zu guter Letzt scheint es Greg LeMond doch auf den Magen geschlagen zu sein, daß ihn keiner so recht leiden mag. Als er vor zwei Jahren nach seinem schweren Jagdunfall, bei dem ihn ein naher Verwandter angeblich mit einem Hasen verwechselt und ihm eine Ladung Schrot auf den Pelz gebrannt hatte, auf die harten Pisten des Profi-Radsports zurückkehrte, hatte er anfangs noch einen gewissen Mitleidsbonus. Der war aber schnell verbraucht, als seine Kollegen erkannten, daß der hurtige Mann aus Minnesota allen Ernstes vorhatte, die Tour de France zu gewinnen. Schnell wurde er von Laurent Fignon als „Hinterradlutscher“ abqualifiziert, weil er in Ermangelung einer tauglichen Mannschaft den Windschatten des Franzosen als seinen Lieblingsplatz bei der Tour auserkoren hatte, andere schimpften ihn einen jämmerlichen Parasiten.
Hinzu kam, daß Greg LeMond seine Saisonplanung immer rigoros auf die beiden Ereignisse ausrichtete, die das dicke Geld brachten: Tour de France und Weltmeisterschaft, die einzigen Radrennen, die auch in den USA breitere Beachtung finden. Alle anderen Veranstaltungen ließ er entweder links liegen oder absolvierte sie so leidenschaftslos und schlaff, daß sich die Freunde des pedalen Sports ausgesprochen veralbert vorkamen. Auf diese Art sprengte LeMond zwar sämtliche finanziellen Schallmauern des Radsports und wurde vielfacher Dollarmillionär, bei den Großen vergangener Tage wie Gino Bartali oder Eddy Merckx, für die jeder Klassiker eine Herausforderung gewesen war, erntete er jedoch nichts als Hohn und Spott.
LeMond sei alles andere als ein Champion, tönten sie im letzten Jahr vor allem angesichts seiner blamablen Vorstellung beim Giro d'Italia, wo der Amerikaner meist gemütlich hinterherradelte, drei Stunden hinter dem Sieger Gianni Bugno auf dem 105. Rang landete und zum Entsetzen des italienischen Publikums nicht mal versuchte, wenigstens eine lausige Etappe zu gewinnen. Bei der Tour war der 29jährige dann zwar wieder obenauf, erklomm die gewaltigen Alpenpässe, als handle es sich um die Erdhäuflein der Holsteinischen Schweiz, und hängte sämtliche Konkurrenten mit Leichtigkeit ab; gewurmt hat ihn die herbe Kritik der Veteranen aber offensichtlich doch.
Für 1991 kündigte Greg LeMond nämlich an, daß er alle klassischen Frühjahrsrennen bestreiten und nach Möglichkeit gewinnen wolle. Die Tour de France, deren Streckenprofil in diesem Jahr relativ anspruchslos ist, will er keineswegs aus den Augen verlieren, doch zum erstenmal reizt ihn, wie der Direktor seines „Z“-Teams, Roger Legeay, verrät, auch der Giro: „Ich weiß, daß er den Giro gewinnen und damit das erste Double von Giro- und Tour-Sieg seiner Karriere ansteuern will.“ In diesem Falle hätte wohl selbst Eddy Merckx nichts mehr zu meckern.
Zumal LeMond sogar noch einen besonderen Clou parat hat: wenn alles gut läuft, will er nach der Tour den Stundenweltrekord von 51,15135 Kilometern, den der Italiener Francesco Moser am 23. Januar 1984 in Mexico City aufgestellt hat, überbieten. Dafür wäre er unter Umständen sogar bereit, auf die WM zu verzichten.
Moser hatte, bevor er Eddy Merckx' Rekord aus dem Jahre 1972 brach, Monate in der Obhut von Ärzten verbracht, die seinen Speiseplan und sein Training exakt auf den Rekordversuch abstimmmten. „Mosers Rekord wurde immer als eine medizinische Errungenschaft betrachtet“, sagt LeMond, „meiner wird eine technische sein.“ Beim Material ist der Amerikaner den anderen sowieso meist einen Schritt voraus, das Problem könnte eher die Motivation sein. Bernard Hinault etwa hatte nie Interesse am Stundenrekord; er wollte Menschen besiegen, nicht die Uhr. „Das Geheimnis ist, wie du eine Stunde lang deine Grenzen maximieren kannst“, meint LeMond, „ich bin aber nicht sicher, ob ich so ehrgeizig sein würde wie bei der Tour.“ Aber egal: „Es wäre ein großer Spaß, es zu versuchen.“ Matti
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