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Der Beat-Generator

■ Eine späte Entdeckung: Herbert Huncke

Mit Bickford's Cafeteria erscheint erstmalig in deutscher Übersetzung ein Buch des heute 75jährigen Herbert Huncke, der hierzulande nur intimen Kennern der amerikanischen Nachkriegsliteratur bekannt sein dürfte. Der Berliner metro-Verlag erinnert mit Huncke an eine zentrale Figur der Beat- Generation, der Autoren wie Ginsberg, Burroughs und Kerouac inspiriert hat und für sie archetypisch das Bild des „hipsers“ verkörperte. Hunckes unstetes Leben als Drogensüchtiger und Homosexueller, als Stricher und Kleinkrimineller durchläuft alle jene Stationen, die dem prosperierenden und bigotten Nachkriegsamerika als Inbegriff des Bösen und Perversen erscheinen. So erklärt sich die Faszination, die der Outlaw Huncke auf die subkulturelle Szene um den New Yorker Times Square ausgeübt haben muß: Literarische Porträts Hunckes finden sich in Burroughs Junkie ebenso wie in Kerouacs The Town and the City oder bei Ginsberg in Howl. Man kann Hunckes autobiographische Prosa darum auch unter einem literaturhistorischen Blickwinkel als Chronik des amerikanischen Undergrounds der Kriegs- und Nachkriegsjahre lesen.

Bickford's Cafeteria ist ein Buch frei von Larmoyanz und falschen Romantizismen, geschrieben in der „ungeschminkten Sprache eines Mannes aus der Großstadt, klar, großmütig, wie in einer persönlichen Unterhaltung“ (Allen Ginsberg in seinem Vorwort). Es ist diese urbane Abgeklärtheit, die Huncke zu einem spannenden Erzähler macht, der sich auf die Erfahrungen verlassen kann, die er mit der Welt und vor allem mit sich selbst gemacht hat. Sein unverstellter Blick auf das Leben unter den exotischen Gestalten der Subkultur ist der des Weisen, der jedem Gerechtigkeit widerfahren läßt. So entstehen faszinierende Porträts einer tätowierten Frau und eines riesenhaften Hermaphroditen, von einem traurigen Päderasten und vielen anderen Unbekannten. Hunckes Erzählen ist anekdotisch, manchmal fast fragmentarisch angelegt und vereint die Zielstrebigkeit besinnlicher Memoirenliteratur.

Obwohl es in diesem Buch ständig um Drogen geht, wird man darin vergeblich nach spektakulären Schilderungen entgrenzender Rauscherfahrung und ekstatischer Bewußtseinserweiterung suchen. Hip sein und sich einen Schuß setzen ist nur eine Seite von Bickford's Cafeteria; meist betrachtet Huncke den Drogenkonsum aus einer eigentümlichen Distanz, die dessen Alltäglichkeit fixiert: „Elsie fragte, ob ich H bei mir hätte, und Ed stand der Sinn nach ein wenig Amphetamin. Es traf sich, daß ich beide zufriedenstellen konnte. Zu dritt törnten wir uns an.“ Mit ähnlicher Nüchternheit beschreibt Huncke den Teufelskreis, der den Süchtigen in immer gleiche Extremsituationen treibt: Verhaftungen, Gefängnisaufenthalte, Entzugsversuche, materielle Not. Die Droge erscheint weit mehr als eine Macht, die den Ablauf des Alltags diktiert, denn als das Medium, ihn zu überschreiten.

Manchmal verhärtet sich Hunckes Nüchterheit, und sein Erzählen steigert sich zu beklemmenden Bildern des Selbsthasses und der Verzweiflung; der Ekel vor dem körperlichen Verfall macht den Blick in den Spiegel zum Horrortrip: „Es sah so aus, als läge unter der Hautoberfläche eine Art Tunnelgeflecht voll schwarzen Blutes, dreckig und unansehnlich, und in mir reifte die Überzeugung, daß diese Kanäle den schwarzen Kreaturen als Brutstätten dienten und man einfach die oberste Hautschicht aufreißen müsse, um sich von deren unwillkommener Gegenwart zu befreien.“

Gleichwohl sackt Hunckes Buch niemals ab auf das Niveau einer didaktischen Lebensbeichte. Denn unterhalb der Oberfläche dieser geradlinigen Geschichten zersetzt sich die Entwicklungslogik eines autobiographischen Realismus. Die Welt von Bickford's Cafeteria mit ihren Dealern, Künstlern, Tunten und Junkies ornamentiert nicht mehr die autobiographische Frage: Wie wurde ich, wer bin ich? Huncke fragt danach, wie man das Leben des Süchtigen überhaupt erzählen kann. Die Sucht ist in diesen Erzählungen nicht ein Thema unter anderen, sondern ihr Puls, der sie am Leben erhält und ihren geheimen Beat schlägt. Man begreift, daß die starre Logik der Sucht, die Hunckes Prosa schon sprachlich beherrscht, auf unmerkliche Weise übergreift auf die Konstruktion von Subjektivität und Zeitgefühl. So erscheint Huncke, obwohl er über einen Zeitraum von dreißig Jahren berichtet, als Subjekt dieser Prosa eigentümlich alterslos. Gegen Ende des Buchs beschreibt er seinen ersten Spaziergang nach einem vergeblichen Entzugsversuch in einer Drogenklinik; den Leser trifft es wie ein Faustschlag, wenn es dort heißt: „Es ging mir gut. Ich bewegte mich leichten Schrittes, überhaupt nicht wie ein einundfünfzigjähriger Mann. Ich fühlte mich weder alt noch jung, fand, daß ich interessant und gut aussah und immer noch etwas ausstrahlte, was man früher, als ich jung war, Sexappeal genannt hatte.“ „Früher, als ich jung war“ — so teilt der Leser den Schock des Erzählers, weil er im Sog der Erzählungen, wie er in seinem von der Droge beherrschten Leben, nicht bemerkt hat, daß überhaupt Zeit vergangen ist. Christoph Wingender

Herbert Huncke: Bickford's Cafeteria. Mit einem Vorwort von Allen Ginsberg. Deutsch von Tamara Domentat, metro Verlag, Berlin 1990, 18 D-Mark.

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