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Altern ohne finanzielles Risiko

■ Die Pflegefallversicherung soll die fünfte Säule sozialer Sicherung werden

In Bremen sind es 6.000 bis 7.000 RentnerInnen, die ihre Rente, Haus und Hof und, wenn dies nicht reicht, auch noch das Einkommen ihrer Kinder dafür opfern, ihre Pflege Zuhause oder im Heim zu finanzieren. Und erst wenn das eigene Konto und das der Kinder nicht ausreichen, trägt die Sozialhilfe den Rest der gegenwärtig rund 3.500 bis 4.000 Mark Kosten für eine Vollpflege. „Das ist weder sozial gerecht noch ordnungspolitisch vertretbar“, sagen mittlerweile Krankenkassen und die Parteien übereinstimmend: Eine Absicherung des Pflegerisikos ist dringend notwendig, zumal immer mehr Menschen in die Bedürftigkeit geraten. Wie diese Absicherung allerdings aussehen und vor allem: finanziert werden könnte, ist ein Streitpunkt zwischen Parteien, Krankenkassen und Wohlfahrtsverbänden. Vor der Landespressekonferenz stellte gestern Gustav Figge, Geschäftsführer der Handelskrankenkasse und Vorsitzender des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen in Bremen, die unterschiedlichen Konzepte vor.

Die Krankenkassen schlagen vor, für die Pflege eine fünfte Säule im System der sozialen Sicherung zu installieren: Neben der Renten- und Krankenversicherung, neben Unfallversicherung und Sozialhilfe werde der Pflegefallversicherung damit zu einer fünften, einkommensabhängigen Versicherungsaufgabe. Bei Arbeitnehmern sollen nach Forderung der Krankenkassen die Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge bezahlen, anders Versicherte sollen ihr Pflegerisiko privat absichern. In den Niederlanden, wo seit rund 20 Jahren ein ähnliches Modell praktiziert wird, sind die Kosten mittlerweile auf 4,9 Prozent des Arbeitsentgeltes dafür angestiegen. Allerdings setzt Holland dabei voll auf stationäre Pflegeinrichtungen.

Krankenkassen-Vertreter Figge geht für die Bundesrepublik von rund 2 Prozent des Arbeitsentgeltes (ohne die geforderte Arbeitgeberbeteiligung) aus — falls die Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums zutreffen und beim Kreis der jetzt Betroffenen tatsächlich 25 Milliarden Mark Mehrkosten entstehen. Die eigens eingerichtete Arbeitsgruppe in dem Ministerium veranschlagte außerdem einen zusätzlichen Bedarf von rund 20.000 Pflegekräften. Auf Bremen lassen sich nach Auskunft des Krankenkassenexperten die Prognosen noch nicht übertragen. Über die Pflegeversicherung könne jedoch eine „erhebliche Entlastung“ der Sozialhilfe erreicht werden: 70 Prozent der Pflegefälle in Bremer Einrichtungen beziehen Sozialhilfe.

Bis Mitte nächsten Jahres will die Arbeitsgruppe des Bundesarbeitsministeriums ein Konzept zur Pflegeversicherung erarbeiten. Die FDP puscht in dieser Diskussion ihr individuelles Pflegekonzept, das lediglich Anreize zur ansonsten vollen Eigenvorsorge auf privater Basis bieten soll. Die CDU/CSU setzt auf eine obligatorische Versicherung für alle, auch für Selbständige und Beamte, die auf einem Kapitaldeckungsverfahren arbeitet. Und die SPD schließlich fordert die Schaffung eines neuen Sozialversicherungszweiges, als „gesetzliche Pflegeversicherung“ für alle BürgerInnen ab 18. ra

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