: Man muß sich gut verkaufen
Interview mit dem Molekularbiologen Wolfgang Uckert vom Zentralinstitut für Krebsforschung in Berlin-Buch ■ Von Bärbel Petersen
Wolfgang Uckert studierte an der Berliner Humboldt-Universität Chemie; arbeitete seit 1974 im Zentralinstitut für Krebsforschung; 1980 Promotion; seit 1988 Leiter der Abteilung Zellbiologie; 1990 B-Promotion; Oktober 1990 Virchow-Preis; Studienaufenthalte an der Freien Universität Brüssel, am Moskauer Krebsforschungszentrum, an der University of Southern California Los Angeles; über 40 Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften.
taz: Was hat sich im Zentralinstitut für Krebsforschung seit dem 9. November 1989 verändert?
Wolfgang Uckert: Zunächst einmal wurde der damalige Direktor, Professor Stefan Tanneberger, auf unser Drängen abberufen. Er ist inzwischen nicht mehr im Institut. Dafür amtiert Professor Lüder, der von den zuständigen Gremien des Instituts das Vertrauen ausgesprochen bekam. Bereits im November 1989 wurde bei uns die erste geheime und demokratische Gewerkschaftswahl durchgeführt. Jetzt bereiten wir gerade entsprechend dem Personalvertretungsgesetz für Berlin eine Neuwahl vor. Außerdem haben wir auch im November 1989 einen wissenschaftlichen Institutsrat ins Leben gerufen, der paritätisch aus Bereichsleitern, Abteilungsleitern, Wissenschaftlern ohne Leitungsfunktion sowie aus Kollegen, die in Mitarbeitervertretung arbeiten, zusammengesetzt ist.
Als sich im Juni das Aus für die Akademie der Wissenschaften (DDR) abzeichnete, protestierten viele und gingen für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes auf die Straße.
Dabei darf nicht übersehen werden, daß in der Akademie über 20.000 Mitarbeiter angestellt waren, also ein riesiger Wissenschaftsbetrieb. Das wurde in den vergangenen Jahren mehrfach von verschiedenen Wissenschaftlern kritisiert. Das heißt, es wurde gefordert, sich auf einige wenige Einrichtungen zu beschränken, also statt in 50 Instituten das Potential in vielleicht 20 zu konzentrieren. Aber bis auf ein verständnisvolles Kopfnicken passierte nichts. Wir haben durchaus gesehen, daß sich in den Instituten eine Menge Leute aufhielten, deren Arbeitsplätze schon damals überflüssig waren. Andererseits hatten einige Institute nicht unbedingt eine Existenzberechtigung. Ich denke an solche, die jahrelang den Sozialismus theoretisch manifestierten.
Was wurde in Ihrem Institut gegen die drohende Auflösung unternommen?
Insgesamt haben in Berlin-Buch etwa 1.500 Leute gearbeitet, also im Zentralinstitut für Molekularbiologie, im Zentralinstitut für Herz- Kreislauf-Forschung und unserem Zentralinstitut für Krebsforschung. Die Direktoren dieser drei Institute bildeten gemeinsam mit ihren Stellvertretern schon zu Beginn des Jahres 1990, eine Initiativgruppe, um Vorschläge für den Erhalt der Institute zu erarbeiten. Dabei entstand die Idee der Gründung eines Großforschungszentrums, wie sie in der alten Bundesrepublik existieren. Es wurden Kontakte mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) aufgenommen, dessen Leiter, Professor Harald zur Hausen, die Pläne unterstützte.
Wie sollte denn das Großforschungszentrum funktionieren?
Zunächst einmal sollten alle drei Institute aufgelöst und dafür zehn kleinere Institute etabliert werden. Dabei sollte ein großes Forschungsthema tragend sein und nicht wie gegenwärtig viele kleinere. Jeder Bereich unterbreitete deshalb konzeptionelle Vorschläge, die von den Wissenschaftlern und Ärzten diskutiert wurden. Anschließend schickten wir unsere fast tausendseitige Konzeption kompetenten Fachleuten zu.
Hat das DKFZ in Ihnen keine Konkurrenz gesehen?
Jedenfalls wurde es nicht offen ausgesprochen. In unseren Instituten haben wir einen Vorteil: zwei Kliniken mit erheblicher Bettenkapazität, die direkt in die Forschungsarbeit einbezogen werden. Wir verbinden also experimentelle Forschung mit klinischer Praxis. Unsere Vorstellungen haben wir zu Papier gebracht und begutachten lassen.
Von wem?
Von Wissenschaftlern aus Schweden, aus der Bundesrepublik und aus Großbritannien. Das war im Juni vergangenen Jahres. Damals war noch keine Rede davon, daß der Wissenschaftsrat die Akademieinstitute evaluieren wird. Nachdem die Wissenschaftler unsere Konzeption gelesen hatten, kamen sie selbst in unsere drei Institute. Das Ergebnis ihres Besuchs mündete in die Empfehlung, unser Gelände zu erhalten, aber nicht in der bisherigen Größenordnung.
Also konnten Sie der Evaluierung mit einem guten Gefühl entgegensehen?
Ja, denn wir hatten ein Konzept. Wir hatten genügend Zeit, die Evaluierung vorzubereiten. Unklar war lediglich der Zeitpunkt.
Wann wurde Ihr Institut evaluiert?
Vom 8. bis 11. Oktober 1990. Das kam unseren Vorstellungen sehr entgegen, denn wir hofften, so früh wie möglich begutachtet zu werden.
Im Vergleich zu anderen Instituten hat sich die Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates lange in den drei Instituten umgesehen. Woran lag das?
Ich vermute, daß die Arbeitsgruppen des Wissenschaftsrates den Umfang der Arbeit zeitlich unterschätzt haben. Die Arbeitsgruppe hielt sich einen Tag im Zentralinstitut für Herz-Kreislauf-Forschung auf, einen im Zentralinstitut für Mikrobiologie und zwei Tage bei uns.
Im Vorfeld der Evaluierung wurden Fragebögen verschickt.
Ja, die trafen etwa acht Wochen vorher bei uns ein. In meiner Funktion als Leiter einer Abteilung war ich für die Erstellung der Fragebögen mitverantwortlich.
Hatten Ihre Kollegen ein Mitspracherecht?
Natürlich. Ich habe die Antworten ausgearbeitet und mit meinen Mitarbeitern abgesprochen. Also wußte jeder Bescheid, was in dem uns betreffenden Teil enthalten ist. Anschließend wurden sämtliche Bögen der einzelnen Abteilungen gesammelt und der Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrats zugeschickt.
Wer gehörte der Arbeitsgruppe an?
Vor dem 8. Oktober erhielten wir eine Liste, auf der die Gutachter genannt wurden. Einige Namen änderten sich noch kurzfristig aus terminlichen Gründen. Es waren insgesamt 25 Wissenschaftler, darunter aus den alten Ländern der Bundesrepublik, Finnland, Frankreich, der Schweiz sowie Kollegen aus Einrichtungen der Ex-DDR. Aus unseren drei zu evaluierenden Instituten war keiner dabei.
Würden Sie kritisieren, daß aus den zu evaluierenden Instituten selbst keiner in der Arbeitsgruppe war?
Nicht unbedingt, denn wir hatten ja in den vier Tagen die Möglichkeit, uns mit dieser Arbeitsgruppe auseinanderzusetzen. Die Bereichs- und Abteilungsleiter konnten entsprechend dem Schema der Evaluierung mit den 25 Wissenschaftlern reden. Wir konnten unser Arbeitsgebiet vorstellen. Die Evaluierer wollten unter anderem wissen, warum wir gerade dieses Gebiet bearbeiten, warum wir glauben, trotz der internationalen Konkurrenz damit erfolgreich zu sein, was wir uns weiterhin vorgenommen haben, ob es Kooperationsverbindungen mit internationalen Gruppen und thematische Verflechtungen innerhalb des Hauses oder des Geländes gibt.
Haben Ihre Mitarbeiter selbst auch persönlich mit den Wissenschaftlern reden können?
Ja. Die Arbeitsgruppe teilte sich auf und besichtigte Laboreinrichtungen und die Klinik. Dabei sprachen drei Wissenschaftler anderthalb Stunden auch mit meinen acht Mitarbeitern. Danach kamen noch einmal fünf Mitglieder der Arbeitsgruppe, die sich die Laboreinrichtungen ansahen. In einer Nachmittagsrunde wurden außerdem Kollegen befragt, die keine Leitungsaufgaben haben. Die Evaluierer wollten wissen, ob sie an den konzeptionellen Arbeiten beteiligt waren und wie ihre Vorstellungen seien. Bei diesem Gespräch hielten unsere Mitarbeiter auch nicht mit ihren Sorgen zurück. Sie wollten wissen, woher diese Arbeitsgruppe eigentlich ihre Legitimation für die Evaluierung habe und ob in einigen Abteilungen die Zeit nicht zu kurz bemessen wäre.
Wie reagierten die Evaluierer auf diese Vorwürfe?
Sie zeigten Verständnis für die begründeten Sorgen. Aber sie wiesen Zweifel an ihrer Legitimation zurück, die sie von der Bundesregierung erhielten.
Wie gut oder schlecht eine Gruppe abschloß, hing davon ab, wie der Leiter das Projekt verkaufte?
Ich denke schon, denn man mußte mit größtem persönlichen Engagement arbeiten.
Sie begrüßen also die Evaluierung?
Ja, aber ich hatte vor dieser Evaluierung auch Angst, weil sie für jeden einzelnen sehr viel bedeutet. Wenn sich eine Gruppe sehr schlecht darstellt, könnte es das persönliches Aus sein. Insofern waren wir alle unter psychischem Druck, sich so gut wie möglich zu verkaufen. Aber zum anderen wurden wir auch gezwungen, eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme vorzunehmen. Diesen Druck, der durch die Evaluierung gekommen ist, gab es früher an unseren Akademieinstituten überhaupt nicht. Wir arbeiteten nach vorgegebenen Forschungsplänen, die wir selbst erstellten und abrechneten. Jedes Jahr wurden alle Pläne erfüllt. Mit der Evaluierung wurde ein Maßstab angesetzt, der zur Beurteilung wissenschaftlicher Arbeit international üblich ist. In unserem Fall ist die Evaluierung mit der Existenz eines Instituts verbunden ist. Das ist hart.
Was wird sich durch die Evaluierung ergeben?
Nach der Begutachtung fand eine Abschlußrunde statt, bei der Vertreter der Personalräte, ausgewählte Abteilungs- und Bereichsleiter sowie die Institutsdirektoren anwesend waren. Dabei wurde der Versuch unternommen, für die Institute die beste Lösung zu finden. Aber es wurde auch deutlich, daß die Gründung eines Großforschungszentrums vermutlich nicht von der Arbeitsgruppe befürwortet wird. Ein großer Teil der Arbeitsgruppenmitglieder kommt nämlich aus der universitären Forschung, die zur Zeit relativ schlecht auf die Großforschungszentren zu sprechen ist. Ihre Begründung: Die Zentren haben einen Riesenetat, müssen nicht in dem Maße wie andere Forschungseinrichtungen um die Drittmittel kämpfen, weil sie vom Bund und von den Ländern finanziert werden und bieten relativ gesicherte Arbeitsstellen. All dies senkt nach ihrer Meinung angeblich die Kreativität und Einsatzbereitschaft der Wissenschaftler.
Hat die Arbeitsgruppe eine Alternative angeboten?
In der Abschlußrunde haben wir gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Da wir zwei Kliniken haben, sollte die klinische Forschung unbedingt erhalten und mit der Grundlagenforschung verbunden werden. Wir könnten versuchen, biomedizinische Forschung zu betreiben und neue medizinische Fachgebiete einzubeziehen, wie zum Beispiel die Rheuma-Forschung. Es wurde angeregt, zwei Institute zu gründen: für molekulare Medizin sowie für molekulare und zelluläre Biologie. Das könnte mit einem Technologiepark und einer Forschungsklinik verbunden werden. Außerdem wurde empfohlen, Studenten hier auszubilden.
Nach der Evaluierung wußten Sie also schon, woran Sie sind?
Ja, wir wurden nicht im Ungewissen gelassen. In anderen Instituten ist es anders gelaufen.
Wann erfahren Sie die endgültige Empfehlung?
Ende Januar tagt der Wissenschaftsrat, und dann rechnen wir damit. Eine gewisse Unsicherheit bleibt, aber eine Perspektive ist dennoch gegeben.
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