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„Europa bleibt nicht ungeschoren“

Sondersitzung des Bundestages: Kohl appelliert an Saddam, militärischen Konflikt zu vermeiden  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — Gleich der US-Regierung bleibt Bonn auf dem denkbar härtesten Kurs gegenüber Iraks Staatspräsident Saddam Hussein. Dies zeichnete sich gestern während einer Sondersitzung des Bundestages zum Golfkonflikt ab.

Zwar sagte Bundeskanzler Helmut Kohl gleich zu Beginn seiner Regierungserklärung, noch könne eine militärische Auseinandersetzung um das vom Irak besetzte Kuwait verhindert werden. Jedoch in der folgenden halben Stunde knüpfte der Bundeskanzler dies uneingeschränkt an eine Voraussetzung, die bekanntlich für den irakischen Staatspräsidenten unannehmbar ist: den bedingungslosen Rückzug aus Kuwait.

Nun liege alles beim irakischen Präsidenten, sagte Kohl. Und „die Bedingung ist klar, der Irak muß sich aus Kuwait zurückziehen. Nicht ein Satz des Bundeskanzlers deutete darauf hin, daß die Bundesregierung erwägt, sich für Zugeständnisse der USA an Saddam Hussein einzusetzen, die es den Irakern erlauben würden, Kuwait ohne Gesichtsverlust zu verlassen.

Im Gegenteil: Kohl forderte nicht nur allgemein einen Abzug — der zunächst auch ein Teilabzug sein könnte. Er beharrte auf „vollständigen Abzug bis morgen“. Überdies wies er es zurück, die Kuwait-Frage mit der Palästinenser-Frage zu verknüpfen.

„Die Probleme“, so Kohl, „müssen unabhängig voneinander gelöst werden.“ Nur ganz allgemein und für die Zukunft forderte er „neue, erhebliche Anstrengungen“ für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten, der auch die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes voraussetze.

„Heute“, setzte der Kanzler jedoch gleich hinzu, „geht es darum, das Existenzrecht Kuwaits zu wahren.“ Die weltweiten Auswirkungen eines Golfkrieges spielte Kohl drastisch herunter: Er sprach lediglich von den leidvollen Konsequenzen „für die gesamte Region“. Und die drohende Invasion der UN-Truppen gegen Bagdad rechtfertigte er so: Die Staatengemeinschaft dürfe und könne den Übergriff des Iraks auf Kuwait nicht hinnehmen.

Sehr moderat im Ton, dennoch deutlich in der Sache kritisierte der SPD-Ehrenvorsitzende Willy Brandt die Bundesregierung für ihr bisheriges Vorgehen im Golfkonflikt. Die Frage sei, weshalb deutsche und europäische Politiker nicht stärker darauf gedrängt hätten, das wirtschaftliche Embargo wirksamer zu machen. Und: „Im Augenblick müssen wir doch eher davon ausgehen, daß ein Krieg stattfinden wird, als daß er abgewendet werden kann.“

Brandt hält einen Krieg noch nicht für abwendbar, „der uns in Europa nicht ungeschoren davonkommen ließe“. Er forderte überdies, „Alternativen“ zu einer militärischen Invasion nach einem Ablauf des Ultimatums wahrzunehmen. Die Frage sei, so der Sozialdemokrat, ob sich aus dem Ablauf des Ultimatums „ein Automatismus“ ableite. Indirekt forderte er, daß statt einzumarschieren weiter und wirkungsvoller als bisher auf Sanktionen gesetzt werden solle. „Es gibt noch eine Alternative, die nicht schwächliche Nachgiebigkeit bedeutete, sondern internationalen Rückhalt verliehe“, so Brandt dazu. Und: „Vielleicht kann Europa ja doch noch was tun.“

Ganz vorsichtig sprach sich Brandt auch für einen der möglichen Auswege aus: die Verknüpfung des Rückzugs aus Kuwait mit der Palästinenser-Frage. „Keine Frage, die irakische Führung hat das Thema Kuwait nachgeschoben. Keine Frage aber auch, es darf nicht künstlich ausgespart bleiben.“ Anders als Kohl deutete er auch die Verantwortung der USA an: Verantwortlich für das Spiel mit der Zeit sei vor allem die irakische Regierung.

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