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Koalition: »Zustand der Verwirrung«

■ Es klemmt weiterhin zwischen SPD und CDU in Sachen Verkehrs- und ImmigrantInnenpolitik/ Wachsweicher Kompromiß bei Artikel 16: Keine Initiative zu Gesetzesänderung von Berlin aus

Berlin. Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD klemmen im Detail: Wider Erwarten gelang es den Unterhändlern beider Parteien gestern nicht, wie allgemein angenommen, die Sachverhandlungen abzuschließen. Nach einem zweistündigen Gespräch wurde die Runde vorzeitig beendet und auf heute vertagt. Gestritten wird nach wie vor um die ideologisch aufgeladenen Themen Verkehrs- und ImmigrantInnenpolitik. Keine Einigung gibt es nach wie vor bei Tempo 100 auf der Avus und bei der Sperrung der Havelchaussee, während bei den anderen neuralgischen Punkten in der Verkehrspolitik bereits Kompromisse erzielt wurden (die taz berichtete). Mit deutlich säuerlicher Miene trat gestern mittag CDU-Fraktionschef Landowsky vor die Presse, um mitzuteilen, daß sich alles hinziehe. Auch der Noch-Regierende Walter Momper hatte Mühe zu erklären, wo es denn noch hakt. »Sie sehen an meinen Papieren, daß wir den höheren Stand der Verwirrung erreicht haben«, erklärte Momper die Lage. Keine Einigung besteht nach wie vor auch bei der Führung der Stromtrasse, beim Paragraphen 218, beim Prestigeobjekt Deutsches Historisches Museum und bei der ImmigrantInnen- und Flüchtlingspolitik.

Streit um Einschränkung von Artikel 16

Die von der CDU ungeliebte doppelte Staatsbürgerschaft stand in diesem Bereich ebenso auf dem Verhandlungsprogramm wie Abschiebestopps für Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten sowie Artikel 16 des Grundgesetzes (»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«). Der Verhandlungsspielraum war durch das neue Ausländergesetz ohnehin stark eingeschränkt. Seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 1. Januar 1991 kann der zukünftige Innensenator einen Abschiebestopp für bestimmte Herkunftsländer nur noch im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister verhängen. In der Verhandlungsgruppe, so war zu erfahren, einigte man sich darauf, möglichst schnell eine Liste der betroffenen Länder zwecks Vorlage in Bonn vorzubereiten. In Sachen Artikel 16 wollte die SPD festgeschrieben wissen, daß auch ein schwarz-rotes Berlin keiner Einschränkung des Artikels 16 auf Bundesratsebene zustimmen werde. In der Verhandlungsgruppe konnte sie sich damit nicht durchsetzen. Man einigte sich lediglich auf die Formulierung, daß keine Initiative zur Grundgesetzänderung von Berlin ausgehen werde.

Klare Dissenspunkte bestehen dem Vernehmen nach weiterhin bei der Frage der Ausweisung ehemaliger straffälliger Nichtdeutscher, die hier geboren und aufgewachsen sind. Ebenfalls strittig ist die Frage der Auskunftspflicht öffentlicher Stellen nach dem neuen Ausländergesetz. Sozialdemokraten wollen gerade für Sozial- und Jugendämter dem Beratungsauftrag gemäß Bundessozialhilfegesetz und Jugendhilfegesetz Vorrang einräumen. Die CDU, so war zu hören, gibt dem Ausländergesetz Priorität. Die SPD-Verhandler, so wird auf CDU-Seite moniert, hätten ohnehin versucht, das Ausländergesetz »aufzuweichen«.

Der erneute Streit ist jedoch offensichtlich weniger über den Inhalt als über die Verpackung ausgebrochen. Ob im einleitenden Fließtext so ideologisch behaftete Begriffe wie »multikulturelle Gesellschaft« (Reizwort für die CDU-Basis) oder »Zuzugsbegrenzung« (Reizwort für SPD-Ausländerpolitiker) zu lesen sein sollen, darüber schieden sich gestern noch die Geister.

Sozialdemokraten verärgern CDU

Zur Verärgerung der CDU hat auch eine Resolution des SPD-Landesausschusses beigetragen, mit der die Sozialdemokraten gestern zur Verhandlung erschienen. Wie berichtet, hatte der Landesausschuß am Montag abend eine Kontroverse um eine vorbereitete Resolution geführt, die der CDU Nichteinhaltung ihres Wahlversprechens vorwirft. Angesichts der dramatischen finanziellen Situation der Stadt könne jetzt keine »normale« Koalitionsvereinbarung abgeschlossen werden, heißt es in der Resolution. Aufgabe einer großen Koalition sei es vor allem, in Bonn und bei den alten Ländern »die notwendigen Finanzen für eine angemessene Ausstattung Berlins und aller ostdeutschen Länder zu erkämpfen«. SPD-Chef Momper wollte sich auf keinen genauen Zeitplan für den Abschluß der Verhandlungen festlegen, während die CDU hofft, daß am 24. Januar ein neuer Senat gewählt werden kann.

Zusätzlich 652 Millionen Mark

Ums liebe Geld ging es auch bei einer Runde der Finanzexperten am Montag abend, wo die Mehrkosten für das schwarz-rote Regierungsprogramm errechnet wurden. Dabei mußten die Haushälter auch den Rotstift ansetzen: Von ursprünglich 3,7 Milliarden DM blieben noch 652 Millionen an Mehrausgaben übrig. 105 Millionen sollen in den Wohnungsneubau fließen, 300 Millionen in Arbeitsmarktmaßnahmen, 60 Millionen für zusätzliche Investitionen in Kindertagesstätten. 30 Millionen will das Land Berlin für den Sportstättenausbau im Ostteil der Stadt ausgeben, 20 Millionen pro Jahr für die Sanierung der Museumsinsel, ebensoviel für einen Ordnerdienst in S- und U-Bahnen. Weitere 10 Millionen sind für den Studentenwohnheimbau geplant, 7 Millionen für Sozialstationen Ost. Wo das Geld allerdings herkommen soll, wollten weder der Finanzsenator noch Landowsky noch Momper beantworten. kd/anb

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