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Komitees für Nationale Rettung

■ Die Revolte der reaktionären Basis schwächt den alten Apparat

Der Rauch über Litauen ist ein wenig abgezogen. Damit ist der Blick frei auf eine politische Szenerie, in der viele Illusionen verflogen sind. Die erste dieser Illusionen betrifft die Rote Armee. Seit den Tagen des Bürgerkrieges Anfang der zwanziger Jahre hatte sie sich immer dem Primat der Politik, also der Partei, besser dem ZK, dem Politbüro, vor allem dem Generalsekretär untergeordnet. Die zweite Illusion betrifft die Perestroika. Sie wurde, vor allem im Westen, nach den Erfahrungen der Revolutionen und Umstürze in Ostmitteleuropa schon als geradlinige Entwicklung hin zur Demokratie und zur kapitalistischen Wirtschaftsreform interpretiert. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker schien für viele unausweichlich am Ende dieses Prozesses zu stehen. Abgesichert würde — so die dritte Illusion — dieser geradlinige Prozeß durch die Macht der Reformer um Gorbatschow und durch ihn selbst. Denn Gorbatschow hat sich nach innen als herrischer, dem zentralistischen Apparat verpflichteter Politiker erwiesen, dessen Visionen inzwischen verbraucht sind.

Doch eine Illusion erhält sich hartnäckig in den Köpfen. Noch immer wird die Macht der zentralen Institutionen überschätzt. In Litauen scheint sich aber zu erweisen, daß selbst die Fäden, die das Militär an das Zentrum bindet, verwickelter sind als bisher vermutet. Die Diktatur Gorbatschows steht trotz der Absicht, gerade das Zentrum wieder zu stärken, immer mehr auf tönernen Füßen. Die Eigenmächtigkeiten einzelner Institutionen haben schon in den letzten Monaten zugenommen. So kann Gorbatschow, der zwar den Rahmen für die Politik der Unterdrückung in den Republiken geschaffen hat, auf die Verantwortung des Militärkommandanten vor Ort hinweisen. Das ist eine Entschuldigung, die durch den am letzten Samstag beschlossenen Rückzug der Partei aus der Armee gestützt zu werden scheint.

Inzwischen ist es schon unerheblich, ob Gorbatschow von dem putschistischen Vorgehen in Litauen wußte oder ob er es gar befohlen hat, denn es ist durchaus denkbar, daß eigenmächtig gehandelt wurde. So handelt es sich bei den sich dieser Tage formierenden „Komitees zur Nationalen Rettung“ um Zusammenschlüsse der „reaktionären“ Kräfte aus der Kommunistischen Partei, des Militärs, des Geheimdienstes vor Ort. In den baltischen Ländern kommen Mitglieder der Interfronten, in denen die russischen Einwanderer organisiert sind, hinzu. Das schließt ein koordiniertes Vorgehen dieser Gruppen nicht aus, die Revolte der reaktionären Basis findet aber auch im Zentrum Unterstützung. Nur, und das ist wohl die Erkenntnis der letzten Tage, scheint diese Koordinierung nicht mehr ausschließlich den alten Befehlssträngen (von oben nach unten, vom Politbüro zur Parteibasis) zu folgen. Die Revolte der reaktionären Basis trägt unwillentlich dazu bei, den alten Apparat zu schwächen und damit den Zusammenhalt der Sowjetunion. Erich Rathfelder

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