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Litauens Außenminister im Exil

Algirdas Saudargas verlangt nach dem Umsturzversuch in Litauen einen Aufschub beim Golfkonflikt  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Auf Anweisung der litauischen Regierung ist Algirdas Saudargas am Samstag nach Polen gereist. Der Außenminister der nach Unabhängigkeit strebenden Baltenrepublik hat den Auftrag, die Bildung einer Exilregierung vorzubereiten — für den Fall, daß die gewählte Regierung in Litauen nicht mehr zusammentreten kann. Daß er jetzt in Warschau ist, sei mehr Zufall als Absicht, behauptet Saudargas. „Ich bin in Brest einfach in den ersten Zug gestiegen und losgefahren — und der Zug fuhr eben nach Warschau.“ Jetzt sitzt der litauische Außenminister in der Hotelhalle des kleinen „Zajazd Napoleonski“ am Rande Warschaus. Der Hotelbesitzer hat Saudargas und dem litauischen Abgeordneten Czeslaw Okinczyc, der bereits in Warschau war, die Räume kostenlos zur Verfügung gestellt.

„Was ich nun sage“, beginnt Saudargas, „ist auch die Einschätzung der lettischen, estnischen und russischen Regierung. Gestern war mir das noch nicht klar, aber jetzt ist das eindeutig. Es ist völlig unklar, wer dieses riesige Land überhaupt regiert. Jemand hat in der Sowjetunion den ersten Knopf gedrückt. Ich appelliere an die Welt, im Golf nicht den zweiten Knopf zu drücken. Das ist kein Putsch, sondern ein Umsturz, bei dem nicht nur der eine oder andere General zurückkommt, sondern das ganze alte System, eine riesige Maschine, die in Litauen in Gang gesetzt wurde. Gorbatschow ist machtlos, und niemand weiß, auf wessen Seite die Sowjetunion sein wird, wenn es am Golf losgeht.“

Der Schlüssel zum Golf, so meint Saudargas aufgewühlt, liege in Moskau. „Ich bin überzeugt, daß sich diejenigen, die in der Sowjetunion jetzt den Steuerknüppel übernommen haben, in gewisser Weise auch mit Hussein abgesprochen haben. Die ganze Zeit hat der Westen daran gearbeitet, Gorbatschow in der Golfkrise auf seine Seite zu ziehen. Aber Gorbatschow ist schon weg vom Fenster.“

Im Verhältnis zur Stimmung in Polen — wo bereits die ersten Hilfslieferungen die Grenze überquert haben und eine dreiköpfige Parlamentsdelegation mit Adam Michnik an der Spitze bis ins Parlament von Vilnius vorgedrungen ist — ist die Stellungnahme der Regierung äußerst zurückhaltend. Außenminister Skubiszewski erklärte nach seiner Rückkehr aus London, eine von Litauen geforderte offizielle Anerkennung sei nicht notwendig, „das demokratische Polen hat die Annexion Litauens ja nie anerkannt“.

Okinczyc läßt keine Zweifel daran, daß Litauen auch über die Reaktion des Westens enttäuscht ist: „Der Westen hat sich halt in Gorbatschow verliebt, und da wäre es geradezu lächerlich, jetzt irgendeine Art von Hilfe zu verlangen.“ Er stelle sich vor, eine KSZE-Konferenz über die baltischen Staaten einzuberufen.

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