Konfrontation in Riga verhindert

■ Militär verspricht Ruhe in Lettland/ Diskriminierende Gesetze abgeschafft/ Auch in Estland formieren sich russische Kommunisten und Militärs/ In Litauen ist die Lage weiter gespannt

Berlin/Riga (ap/adn/taz) — Der Kommandant der sowjetischen Truppen im Baltikum, Fjodor Kusmin, hat versprochen, daß die Armee nicht gegen die lettischen Behörden vorgeht. Der lettische Präsident Anatolis Gorbunovs sagte am Dienstag in einer Fernsehansprache, er habe mit Kusmin telefoniert. Der Kommandant habe einen „militärischen Staatsstreich“ in Lettland ausgeschlossen, nachdem die Regierung in Riga ein Dekret vom November aufgehoben hatte, womit die Versorgung der sowjetischen Truppen mit lettischen Gütern gestoppt worden war, was bei den sowjetischen Truppen zu großem Unmut geführt hatte.

Dagegen demonstrierten mehrere tausend Anhänger des „Komitees der Nationalen Rettung“, wozu vor allem die moskautreuen Kommunisten gehören, gegen die Unabhängigkeit des Landes. Die Demonstranten hatten sich in einem Stadion im Zentrum Rigas versammelt und den Rücktritt der Regierung und die Auflösung des Parlaments gefordert. Scharfe Angriffe richteten sie gegen den russischen Parlamentspräsidenten Boris Jelzin, der sich auf die Seite der baltischen Unabhängigkeitsbewegung gestellt hatte. „Jelzin ist ein Provokateur und ein Verräter der Russen im Baltikum“, war auf Transparenten zu lesen.

Die Organisatoren der Kundgebung hatten die Demonstration ursprünglich auf dem Domplatz Rigas durchführen wollen, der jedoch von der Bevölkerung aus Angst vor einem Angriff des sowjetischen Militärs verbarrikadiert wurde. Der Rückzug ins Stadion hat eine offene Konfrontation der Bevölkerungsgruppen verhindern helfen.

Wenig zur Entspannung der Lage hat die als „Schwarze Barette“ bekannte Spezialeinheit des Moskauer Innenministeriums beigetragen. Laut Radio Riga überfiel sie in der Nacht zum Dienstag mehrfach Lastkraftwagen, mit denen die Zufahrten zur Innenstadt blockiert wurden. Dabei wurden die Fahrer verprügelt, ihren Autos die Reifen zerschossen. Außerdem drangen Einheiten dieser Elitetruppe in ein Polizeirevier im Vorort Vecmilgravis ein, wo sie die anwesenden Ordnungshüter drangsalierten und entwaffneten. Schließlich besetzten sie eine Polizeischule. Im Radio hatte die lettische Regierung vor einem geplanten Staatsstreich „reaktionärer Kreise der Kommunistischen Partei“ mit Unterstützung der sowjetischen Truppen gewarnt. Alle Staaten seien aufgerufen, ein „zweites Kuwait“ zu verhindern.

Auch in Estland Konflikte

Die Rücknahme der jüngsten Preiserhöhungen, die Auflösung des Parlaments und den Rücktritt der Regierung verlangten auch die rund 5.000 Demonstranten in Tallinn. Die Kundgebungsteilnehmer, die der nichtestnischen Bevölkerungsgruppe angehörten, setzten für die Erfüllung ihrer Forderungen eine Frist bis Mittwoch mittag. Anderenfalls wollten sie „alle Möglichkeiten“ zur Durchsetzung ihrer Ziele in Betracht ziehen. Die Demonstranten traten gegen die Selbständigkeit Estlands ein und forderten ein „sozialistisches Estland innerhalb der Sowjetunion“. Wie aus Tallinn verlautete, soll es bei der Kundgebung keine Zwischenfälle gegeben haben.

Aus Litauen wurde gemeldet, Gruppen hätten wieder damit begonnen, Straßensperren zu errichten und Kontrollen durchzuführen. In der Republik gibt es nach Einschätzung der Führung der Kommunisten schon eine „Doppelherrschaft“, repräsentiert durch das Parlament einerseits und das „Komitee der Nationalen Rettung“ andererseits.

Am Montag abend berichtete der ständige Vertreter der Republik Lettland in Moskau, Janis Peters, in einem Telefoninterview mit Radio Riga, daß die Gruppe von lettischen Abgeordneten im Obersten Sowjet der UdSSR Michail Gorbatschow in einem persönlich übergebenen Schreiben dazu aufgefordert hätte, Stellung zu beziehen zu den jüngsten Ereignissen in Litauen, die Peters dem lettischen Rundfunk gegenüber als einen „Akt des politischen Vandalismus“ bezeichnete.

In demselben Schreiben hätten die Abgeordneten in kategorischer Form auch die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Schuldigen verlangt.

Auf die Frage, wie der Präsident der Sowjetunion auf diese Eingabe reagiert habe und wie er überhaupt zu diesen Ereignissen stehe, führte Peters aus: „Er versucht, das Zentrum zu retten, und zugleich stellt er uns vor ein Rätsel: Geschieht dies alles auf einen direkten Befehl des Präsidenten hin, oder hat er heute keine Kontrolle mehr über die Situation? Ich glaube, daß beide Möglichkeiten tragisch sind.“ Bei einem Treffen mit Gorbatschow am Montag abend habe dieser sich Peters gegenüber zu einem Dialog über die Konfliktsituation bereit erklärt, so der ständige Vertreter Lettlands in einem weiteren Telefoninterview mit Radio Riga am Dienstag morgen. rob