: Jetzt neu: Die Musik zum Krieg
■ Gewalt, Sex und Macht in der Musik. Ein mediales Weltspektakel andererseits
Es erscheint widersinnig, amoralisch, ja vielleicht unmenschlich. Die Weltöffentlichkeit wird medial präpariert, aus der Ferne einen Krieg zu beobachten. Wir fürchten uns, diskutieren, konsumieren militärische Nachrichten und verdrängen den möglichen Massentod in Arabien, so gut es geht.
Im dem Maß, in dem die modernen Kommunikationstechniken eine Meinung, eine Meldung oder auch nur ein Gerücht innerhalb eines Moments einmal um die Welt schicken können, nimmt auch unsere Fähigkeit und Bereitschaft zu, zur Tagesordnung überzugehen. Wir scheinen nur begrenzt aufnahmefähig .
So geht auch in Bremen das kulturelle Leben weiter, Giftgas in der Wüste hin, tote Leiber her. Aber wenn wir uns schon abendlich mit Live-Musik entspannen wollen, dann doch wenigstens thematisch angemessen. Was kann also in diesen Tagen besser passen als die tonale Verbindung von Gewalt und Sexualität, von Technik und Macht?
Revolting Cocks nennen sich fünf amerikanische und belgische Herren, die heute abend im Modernes aufspielen werden. „Cock“ bezeichnet in ihrem Falle nichts anderes als das aggressive männliche Genital, „revolting“ kann neben „aufrührerisch“ auch „ekelhaft“ bedeuten. Manchmal wird das als „electric dancefloor music“ angekündigt. Das weist eher in Richtung Disko-Mucke. In Wirklichkeit ist es die Apokalypse der Klänge, Endzeit in Wort und Ton. RevCo bedienen sich nicht nur der harschen metallischen Klänge, um recht schmutzig zu klingen, es ist der Ausdruck ihres Lebensgefühls.
Wenn sie zu stampfenden Rhythmen klirrende mechanische Töne mit pantomimischen sexuellen Gewaltszenen verbinden, dann wissen sie, daß sie es als Männer tun. Ein Flammerwerfer zwischen den Beinen, der auch funktioniert, ist ihnen als Symbol gerade recht. Lust als Ausdruck von Unterdrückung und Macht, diese Männerträume sind der Stoff, aus dem das Quintett seine musikalische Ideen bezieht.
In diesen unruhigen Tagen könnte die Auseinandersetzung mit den Revolting Cocks ein weiterer Weg sein, zu begreifen, in welchen Bahnen sich die Welt bewegt. Dazu braucht niemand triefende Moralismen zu bemühen, tränenduselige Statements abzugeben oder wollsockig über das Elend dieser Erde zu lamentieren. Das bestimmt laute und mit Sicherheit ultraharte Konzert heute abend paßt einfach in die Zeit. (Modernes, 20 Uhr, Vorgruppe: Naomi N'Uru aus BHV)
Jürgen Francke
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