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Neu im Filmstudio: "Marlina" von Werner Schroeter

Offenkundig sind die Zeiten vorbei. Als sich noch Sätze bauen ließen, die einfach Sinn machten. Als sich noch kommunizieren ließ damit. Als die Bilder noch Sinn machten, unverbraucht waren. Als sie noch Geschichten erzählten, ganz naiv und ohne große Hintergedanken. Als sich noch Sätze und Bilder kombinieren ließen, wie ganz früher die Satzteile, und heraus kam dann, nach einigen Dreh-und Montage-Tagen, eine Geschichte, schön linear, mit Anfang, Schluß und einem logischen Spannungsaufbau. Schluß, aus, vorbei damit.

In der filmischen Welt von Werner Schroeter, dem Regisseur, ist das alles anders. Wie schon in seinem letzten Film „Der Rosenkönig“ dreht sich auch in seiner Verfilmung von Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ alles um die letzten Fragen: Bin ich, und wenn ja was, wozu und warum. Die existentiellen Ungewißheiten lassen sich nur durch die ganz großen Gefühle beheben. Weil aber die großen Gefühle und die Ungewißheiten erst hinter den festgefahrenen Sicherheiten lauern, müssen sich erst einmal die Bilder drehen, daß sie aus der Realität herauskippen und einem schwindlig wird dabei: Ein Taumel sorgfältig arrangierter Bilder, die sich ruhig bewegen und immer wieder durch die aufgestachelte Hysterie der Protagonistin (Isabelle Huppert) ins kalkuliert Unerträgliche fallen. Perspektiven, symbolschwer, mit optischen Brechungen die Masse, mit Spiegelung über Spiegelung, mit lodernden Flammen, traumhaftem Erleben und erlebten Träumen: die Kamera (Elfie Mikesch), ein einziges Borderline- Syndrom. Die verschiedenen Erzählebenen überschneiden sich wie eine Unmenge kluger Sätze, die auf nichts antworten und nichts bewirken. Die Kommunikation ist gestört, zwischen den drei Geschlechtern gibt es keine Dolmetscherin.

Liebe ist so ein Wort, das gibt es in allen drei Sprachen. In der einen, der der Frau, bedeutet es die Selbstvergewisserung durch ihr menschliches Spiegelbild und das Leiden an dessen Beschränkung. Vor allem Leiden. Immer wieder in Großaufnahme Isabelle Hupperts wandlungsfähiges Mädchengesicht, tiefäugig, tränengenäßt, schreiend. In der Sprache des Mannes, Ivans (Can Togay), des dreitagebärtigen Objekts ihrer obskuren Begierde, die um so stärker wird, je mehr der sich ihr entzieht, ist Liebe das Bedrohende, Verbotene, das er nicht zuläßt. Und schließlich in Malinas (Matthieu Carriere) Sprache, des geschlechtsneutralen, symbiotischen Lebensgefährten der Frau, der sich ihr mit seiner anforderungslosen Hingabe ebenso verweigert wie der Andere, der Mann, steckt in dem Wort die widerstandslose Fürsorge: effektiv, sachlich und unpersönlich.

Und schließlich müssen echte Flammen lodern, wenn schon die Leidenschaft nicht so recht will. Sie lodern und züngeln, eine gute halbe Stunde lang und schließlich ist die Frau verschwunden. Ein Mord ohne Einwirkung. step

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