: Die späte Belichtung des Vorkriegs
■ »Naher Osten« — eine Spiel- und Dokumentarfilmreihe im Haus der Kulturen der Welt
Wenn es zu spät ist, beginnt man zu handeln: Zum Stichtag des 15.1. lief im Haus der Kulturen der Welt eine Filmreihe unter dem Titel Naher Osten zur Situation der Palästinenser an — wie sie sich in Filmen aus dem Libanon, Ägypten, Syrien, Israel und Palästina selbst zeigt. Die Organisatorin dieser Filmreihe, Viola Shafik (Mitveranstalterin des Kommunalen Kinos Metropolis in Hamburg, wo diese Filmreihe ebenfalls vorgestellt wird), erklärte einführend, die Präsentation der Filme habe unter anderem den Zweck, der chronischen Unterbelichtung des Palästinenserkonflikts in den deutschen Medien entgegenzuwirken — spät, zu spät, möchte man sagen; wann kommt die Filmreihe zum Irak?
Daß die Filme aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens kommen, liegt bekanntlich am Palästinaproblem selbst: Obwohl sich seit 1967, seit der Besetzung des Gaza-Streifens und der Westbank durch die Israelis, engagierte palästinensische Dokumentarfilmer im Zuge des Aufbaus der PLO um Dokumentationen des palästinensischen Leben bemühen, war das dortige Filmschaffen schon aufgrund der Exilsituation äußerst erschwert. Nach dem Schwarzen September 1970 in Jordanien mußte die dort gegründete Filmgruppe fliehen und nach Beirut übersiedeln. Dort kamen die bedeutendsten palästinensischen Filmemacher, als sie den Angriff der Israelis auf den Südlibanon drehten, ums Leben; 1982 schließlich fiel den Israelis das palästinensische Filmarchiv in Beirut in die Hände, vom Exodus nach Tunis hat sich die palästinensische Filmproduktion bis heute nicht erholt. In der Folge mußte man aufgrund mangelnder Geldmittel ausländischen Regisseuren die Bearbeitung der eigenen Themen überlassen. So drehte der Iraker Kaiss el-Zubaidi anhand von Archivmaterial die Chronik eines Volkes, dieser Film wird am 17. und 18. Januar im Haus der Kulturen der Welt gezeigt. Neuere Produktionen sind aus finanziellen Gründen zunehmend auf die Zusammenarbeit mit westlichen Medien angewiesen: Dem gegenwärtig bekanntesten palästinensischen Regisseur Michel Khleifi, in Brüssel ausgebildet und seit zehn Jahren dort lebend, gelang schließlich die Finanzierung seiner drei ebenfalls in dieser Reihe gezeigten Filme (Ma'loul feiert seine Zerstörung, Die Hochzeit von Galiläa und Das Lied der Steine) durch das Kleine Fernsehspiel. Ihm ist es gelungen, den palästinensischen Film international bekannt zu machen, zum einen, weil er das Dokumentarische in Spielfilmhandlungen einbindet, und zum anderen, weil er sich um eine ausgewogene Darstellung zwischen palästinensischer und israelischer Sichtweise bemüht. Am 20. Januar wird er selbst im Haus der Kulturen der Welt anwesend sein. Der junge palästinensische Filmemacher Rashid Masharawi konnte sogar innerhalb von Israel einen israelkritischen Film realisieren. In seinem Kurzfilm Der Bunker (18. und 19.1.) wird das Leben eines palästinensischen Gastarbeiters in Tel Aviv gezeigt.
Die Reihe begann am Dienstag mit dem Dokumentarfilm Stimmen aus Gaza: Die Geschichte des seit 1967 von den Israelis besetzten Gebiets und der damit verbundenen sozialen und gesellschaftlichen Probleme wird von den Anwohnern dieses schmalen Küstenstreifens erzählt. Die Regisseurin Antonia Caccia (Großbritannien) hat die Dokumentaraufnahmen dabei mit sachlichen Zwischenkommentaren verbunden — das Leben in der Unterdrückung wird durch die zahlreichen Aussagen von Personen aus unterschiedlichen sozialen Milieus in seinen vielen Aspekten erhellt: die Konzentration von 600.000 Menschen in dem schmalen Landstreifen; die aufgrund mangelnder sanitärer Einrichtungen und Kanalisation hervorgerufenen Krankheiten; hundert Patienten, die auf einen Arzt im Krankenhaus kommen; fehlende Schulen, Arbeitsplätze; der Zwang zum Gastarbeiterdasein in Israel; Familien, die durch das Camp-David-Abkommens 1982 auseinandergerissen wurden und seither nicht wieder zusammengekommen sind. Die Bedrohung durch israelisches Militär ist überall, auch wenn es das Verdienst des Films ist, das er nicht auf antiisraelische Stimmungsmache setzt, sondern sogar ironischen Kommentaren Platz macht: Ein Mann zeigt sich verwundert, daß die Israelis noch keine Meßgeräte an den Nasen der Palästinenser angebracht haben, um die Luft zu messen, die ihnen von den Palästinensern weggeatmet wird...
Seit der Intifada 1987 scheint sich das Lebensgefühl nach den Aussagen der Bewohner, besonders der Frauen, verbessert zu haben; sie haben zu einer gewissen Selbstbestimmung gefunden, auch die Frauen wagen nun, etwas zu tun. Sie haben selbst ein Schul- und Krankenversorgungssystem organisiert. Sie treten hervor aus den Häusern, greifen ein, stehen mit Hilfsmitteln bereit. Alte Frauen spreizen die Finger zum Victory-Zeichen, Kinder lernen Lieder: »Ich bin ein Palästinenser, das Gefängnis ist klein, und der Sieg ist groß.«
Im Anschluß daran wurde nochmals der schon im Arsenal gezeigte syrische Film Die Betrogenen von Taufiq Salih vorgeführt, der angesichts der gegebenen Situation in der Golfregion eine parabelhafte Aussagekraft erhält: Drei aus der Westbank vertriebene, in Syrien lebende und arbeitslos gewordene Palästinenser machen sich von dort in Richtung Kuwait auf, um sich als Gastarbeiter zu verdingen. Sie kommen, als sie sich bei Grenzkontrollen wegen illegaler Ein- und Durchreise im Tank des Lastwagens verstecken müssen, aufgrund der Hitze um. Ihre Leichen liegen im Schlußbild auf einer Müllhalde in der Wüste, die verrenkten Glieder in einer Art flehender Geste zum Himmel gestreckt. Michaela Ott
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