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Das Erbe Thatchers

■ Zahl der Obdachlosen steigt um 14 Prozent jährlich EUROFACETTEN

Das dauerhafteste Symbol der Thatcher-Jahre werden vermutlich die „obdachlosen und hungrigen“ Teenager sein, die auf den Straßen der Londoner Innenstadt betteln, während gleich nebenan Schulabgänger ein Vermögen machen. Die Rückkehr der Bettler Ende der achtziger Jahre ist der offensichtlichste Beweis dafür, daß sich die Einkommensunterschiede unter der Herrschaft der Premierministerin enorm verschärft haben und gleichzeitig die Obdachlosigkeit rapide angestiegen ist.

Zwischen 1979 und 1987 stieg das durchschnittliche Einkommen real um 23 Prozent nach Abzug der Wohnkosten. Für die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung betrug die Steigerung jedoch nur magere 0,1 Prozent. Im selben Zeitraum vergrößerte die bessergestellte Bevölkerungshälfte ihren Anteil am Gesamteinkommen von 68 auf 73 Prozent, während der Anteil der einkommensschwachen Schichten zum ersten Mal seit 1945 fiel. Immer mehr Menschen müssen in unakzeptablen Unterkünften leben. Statistiken der Wohlfahrtsorganisation „Joseph Rowntree Trust“ belegen, daß die Zahl der Familien, die offiziell als obdachlos eingestuft sind, um 14 Prozent pro Jahr steigt. Fast 40.000 Familien leben in Übergangsbehausungen. In den nächsten zehn Jahren werden ca. vier Millionen zusätzliche Wohnungen benötigt, während der soziale Wohnungsbau praktisch eingestellt worden ist.

Unter Thatcher wurde die Debatte um die armen und benachteiligten Bevölkerungsschichten zunehmend von der Neuen Rechten dominiert. Diejenigen, die sich vom thatcheristischen Kuchen keine Scheibe abschneiden konnten, wurden als unfähige Unterklassen abgetan, die hoffnungslos von der Sozialhilfe abhingen. Darüber hinaus wurden sie für den Niedergang der nationalen Moral verantwortlich gemacht, die sich angeblich in den stark steigenden Zahlen bei Scheidungen und unehelichen Kindern ausdrückte.

Die Sozialpolitik, die Mitte der achtziger Jahre neu formuliert wurde, sollte auf die notleidendsten Schichten abzielen. Doch die Kontroverse darum dauert noch immer an. Vor allem die Einführung von Krediten anstelle von Zuschüssen für dringend notwendige Anschaffungen sowie die Verweigerung von Sozialleistungen für Jugendliche unter 18 Jahren sind stark umstritten. Torys befürworten das Kreditsystem, weil es angeblich das Verantwortungsbewußtsein der Antragsteller fördere. Doch diese Politik hat zu bizarren Situationen geführt, in denen die Kreditanträge von vielen Menschen abgelehnt werden, weil ihre „Verpflichtungen zu groß“ seien, als daß sie den Kredit zurückzahlen könnten — mit anderen Worten: sie sind zu arm. Vom Staat im Stich gelassen, sind die Habenichtse auf die Wohlfahrt angewiesen. In Nordirland waren vor der Neufassung der Sozialpolitik weniger als neun Prozent der Hilfsanträge, die bei der Wohlfahrtsorganisation „St. Vincent de Paul“ gestellt wurden, für Lebensmittel. Danach stieg der Anteil auf 30 Prozent.

Niemand soll jedoch sagen, daß Menschen in wahrer Not staatliche Hilfe verweigert werde. In Milton Keynes, der neuen Stadt, die unter dem Thatcherismus explosionsartig gewachsen ist, erhielt eine obdachlose Mutter mit drei Kindern ein Darlehen aus dem Sozialfond in Höhe von 186 Pfund (ca. 550 Mark). Der Scheck war zugunsten eines Campingartikelgeschäfts ausgestellt — für ein Zelt. David Brindle

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