: USA: „Give Peace a Chance“
Die Beunruhigung in der US-Bevölkerung angesichts des drohenden Kriegsausbruchs zeigte sich in vielen kleinen Aktionen im ganzen Land/ Auch die so angepaßte Studentenschaft ging auf die Straße ■ Aus Washington Rolf Paasch
Dienstag, den 15. Januar, 23.59 Uhr, Pennsylvania Avenue: Schlaff hängt das Sternenbanner über dem dunkel im Park liegenden Weißen Haus. Als wolle er gegen die Kriegsgegner vor seiner Haustür noch einmal die Normalität dieser Stunde demonstrieren, ist George Bush früh ins Bett gegangen. Im gegenüberliegenden La Fayette-Park und auf dem abgesperrten Straßenabschnitt vor dem Präsidentenwohnsitz macht sich eine erwartungsvolle Stille breit. Die seit Tagen rund um die Uhr geschlagenen Trommeln werden gedämpft. Es herrscht eine Stimmung wie in einer Silvesternacht, in der sich der große Knall und das Feuerwerk verzögern. Die wütenden Schreie „Kein Blut für Öl“ haben sich um Mitternacht in „Give Peace a Chance“ verwandelt.
Dies ist das Ende eines ultimativen Tages, an dem sich in Washington und im ganzen Land Kriegsgegner und Kirchenangehörige, Gewerkschafter und Angehörige von Mitgliedern der Streitkräfte versammelt hatten, um ihre Zweifel an der Politik der Bush-Administration kundzutun. In Europa mochten in den Großstädten Hunderttausende auf die Straße gegangen sein; in den USA fanden die politischen Aktionen wieder einmal im Kleinen, in der Kirche, in der Nachbarschaft, auf dem örtlichen Town-Meeting statt. Selbst in Des Moines, Iowa, wo sonst jahrelang einfach nur Nichts passiert, kamen an diesem Abend mehrere hundert Menschen zum stillen Protest zusammen.
In Washington hatte der Tag mit einem Town-Meeting im Rathausgebäude begonnen. Die neue Bürgermeisterin sandte ihren Friedensgruß, der demokratische Präsidentschaftsbewerber Jesse Jackson durfte nicht fehlen. Und auch andere Lokalpolitiker verbanden in ihrem Plädoyer das Lokale mit dem Nationalen. Wieder einmal, da waren sich am Geburtstag Martin Luther King Jr.s alle einig, lasse Amerika in überproportionalem Ausmaß diejenigen seinen Krieg für Kuwait ausfechten, denen es daheim immer noch die Gleichberechtigung versage.
Die Kuwaitis, die auf den US-Finanzmärkten immerhin 100 Milliarden Dollar investiert haben, waren auch an diesem Tag in Washington nicht untätig. Für die inszenierten „Anti-Saddam-Proteste“ vor der irakischen Botschaft hatten sie ein Häuflein amerikanischer Konservativer angeheuert. „Save the World, nuke Iraq“, hatte man ihnen unter der Fratze Saddams auf die T-Shirts gedruckt. Sie demonstriere hier für die „Wiedereinführung der Demokratie in Kuweit“, erzählt eine konservative Studentin aus Minnesota dem Kamerateam. „Wiedereinführung“, fragt der Reporter etwas ungläubig, woraufhin sie zugibt, über die innenpolischen Zuständen in Kuwait vor der irakischen Invasion nichts zu wissen. Landesweit haben die Afro- Amerikaner der Golfpolitik der Bush-Administration von Beginn an skeptischer gegenübergestanden als der Rest der Bevölkerung. Die schwarze Howard University ist fast geschlossen gegen einen Krieg, während die Zahl der Kritiker an der George Washington-, der Georgetown- und der American University unter den Studenten weiterhin eine Minderheit darstellt. Dennoch finden auch hier, wie an den Stätten der Vietnam-Krieg-Ära von Berkeley bis Ann Arbor in diesen Tagen zahlreiche Teach-Ins und Protestveranstaltungen statt. Viele der Demonstranten sind Kinder von Vietnam- Kriegsgegnern. „Ich war damals noch zu jung“, so eine Studentin vor der Metropolitan Church, „aber meine Eltern haben mir davon erzählt.“ Nicht so sehr der Generationskonflikt mit Eltern und Establishment scheint viele heute auf die Straße zu treiben, sondern ihre Erziehung in einem sozial bewußten und friedensbewegten Milieu.
Doch vor dem Weißen Haus haben sich in dieser Nacht nicht nur Kriegsgegner versammelt. Schaulustig wandeln auch Bush-Anhänger durch die Menge vor dem Weißen Haus und wundern sich, wo die Hippienachzügler und bunten Gestalten in dieser Stadt der Karrieristen plötzlich alle herkommen. Nur eine Gruppe von Republikanern versucht vergeblich das Trommeln zu überstimmen.
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