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Trampen in der Eisenbahn

■ Über die Schweiz auf Schienen

Da die Bürger der Schweiz es im Allgemeinen ablehnen, minderbemittelte Tramper wie dich und mich mitzunehmen und stattdessen weiterfahren, nicht ohne vielleicht noch freundlich zu winken, empfiehlt es sich im Land der Geldspeicher und Waffenschieber, den Zug zu nehmen. Viele nehmen den Zug. Viele warten auf den Zug.

Zum Beispiel in den Fußgängerunterführungen von Genf oder Zürich, denn Zürich brennt schon lange nicht mehr; und Zeitungen dienen als Decke, oder man setzt sich rauf und raucht ein paar Zigaretten, wenn endlich der Bahnhof sich geöffnet hat, denn im Bahnhof ist es wärmer, und man schläft verstohlen, damit einen ja auch keiner aufweckt. Und im Gegensatz zu einigen Familien, die sich aneinanderdrängen, kann der minderbemittelte Tramper ja doch und dank Euroscheckkarte den Frühzug nehmen.

Der fährt nach Neuchatel oder anderswohin durch vielerlei Tunnel. Im Speisewagen sitzten gewöhnlich frisch rasierte Banker und Waffenhändler, die eigentlich erschossen werden sollten, denen man aber dennoch komplizenhaft zuzwinkert. Frischgebackene Croissants duften im Speisewagen wie nirgendwo sonst in der Kindheit. Aus vier Sprachen wählt man zunächst französisch, um sich nicht mit dem Deutschen gemein zu machen und weil Rätoromanisch auch ein wenig zu exotisch und unlesbar erscheint; kehrt dann doch lesend zurück zu dieser merkwürdig großartigen »schwyzerischen« Mischung von Biedermeier, Bohème. Mord, Totschlag und Rauschgift, die sich im Roman von Friedrich Glauser findet.

Es ist immer noch morgens. Auch Café au lait und ein paar Seen fliegen am Fenster vorbei. Gesicht und Sonne spiegeln sich im Morgenblau und -rot irgendwo in den Scheiben. Wer photographiert, verpasst entscheidende Augenblicke. Die Schweizer Etappe von Lenins Fahrt — von Zürich über Saßnitz, wo man eine Nachbildung des historischen Wagens inzwischen aus dem öffentlichen Raum genommen hat, über Finnland ins damalige Rußland — war sicher die wichtigste Fahrt der schweizerischen Eisenbahn.

Über Auf und Ab, Höhen und Tiefen, Winner und Looser, interessante Begebenheiten in der Geschichte des schweizerischen Eisenbahnwesens gibt Herr oder Frau Schmidt heute ab 14 Uhr im Museum für Verkehr und Technik in einem Dia-Vortrag sachkundige Auskunft. Detlef Kuhlbrodt

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