: Fragiles wider die Gewalt
■ Diskussionsveranstaltung zur Ausstellung von Marion Sauer
Die Magersucht ist eine Krankheit, von der ausschließlich Frauen betroffen sind. Sie ist Ausdruck einer psychischen Störung, in der die Schuld für erfahrene Verletzungen auf die Existenz als Frau zurückgeführt und mit der Zerstörung dieser Bedingung, der Vernichtung des Körpers durch Verweigerung der Nahrungsaufnahme, beantwortet wird.
Marion Sauer begann im Frühjahr 1989 eine Therapie zur Behandlung ihrer Magersucht. Im Laufe dieser Zeit malte sie zahlreiche Bilder, die sie jetzt in einer Ausstellung im Frauentherapiezentrum BeTS.PSIFF e.V. vorstellt. In diesem Forum fand sie eine Öffentlichkeit, in der es ihr möglich war, über das Dargestellte zu sprechen und die Reaktionen anderer Frauen zu erleben.
Ihre Bilder erscheinen in ihrer Zartfarbigkeit und in der Feinheit der Linien, Punkte und Zeichen zunächst unspektakulär. Doch in diesen zaghaften, sensiblen Berührungen der Stifte und Pinsel mit den Malgründen sind selbst subtilste Spuren bedeutsam. Gerade in den feinsten Notierungen ist die Kraft und Mühe nachvollziehbar, die es brauchte, die innere Welt nach außen zu kehren.
Es entfaltet sich ein Mikrokosmos von Zeichen, der an eine archaische Bildsprache erinnert, Elemente der Bilderwelt von Miro und Klee verwendet, vorgefundene Materialien miteinbezieht. Farben sind zu fragilen Gebilden versprüht und in saugende Papiere getupft.
Körperlose Masken, tanzende Teufel, zerstückelte Fische, Vögel, bunte Muster und kindlich anmutende Tiere sind Teile der Bildchiffren. Sie verschlüsseln die ambivalente Situation derjenigen, die eine Therapie durchleben — die Areiten wirken auf den ersten Blick sorglos und verspielt, zeigen aber beim längeren Hinsehen Grausamkeit, Angst und Trauer. Der nach außen gezeigten Heiterkeit steht das innere Chaos, die emotionale Erstarrung und die Unfähigkeit zu sprechen gegenüber.
In den Bildern dokumentiert sich jedoch nicht die subjektive Gefühlswelt einer einzelnen Frau. Sie geben darüberhinaus ein Abbild der kollektiven Angst der Frauen in einer Gesellschaft, in der die Schlankheitsideologie die Symptome der Magersucht als Norm produziert. Sie geben ein Zeugnis von diffus erlebter und unbeantworteter Gewalt, die von Frauen bis an die eigenen körperlichen Grenzen ertragen wird.
Interessant ist Marion Sauers Weg des Malens als therapeutisches Mittel zum eigenständigen Kunstwerk. Sie zeigt eine Möglichkeit des künstlerischen Arbeitens, die als Chance und Motivation vielen Frauen einen Weg aus der eigenen Sprachlosigkeit weisen könnte.
Heute wird Marion Sauer die Ausstellung mit einer Diskussionsveranstaltung beschließen. Susanne Thäsler
um 20 Uhr im BeTS.PSIFF, nur für Frauen
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