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Das Museum am Wegesrand Teil II

■ Ars Artistica — Das Museum für Zirkusgeschichte

Als 1979 der Sammler Julius Markschies- van Trix dem Märkischen Museum seinen enormen Fundus zur Geschichte des Zirkus überließ, ahnte er sicher nicht, daß er bald elf Jahre warten mußte, um seine Kostbarkeiten in der Öffentlichkeit präsentiert zu sehen. Am 20. Dezember 1990 war es dann soweit.

Die neue Zweigstelle des Märkischen Museums befindet sich jetzt in der weitwinkligen und langgestreckten ersten Etage des Neubaus an der Ecke zur Inselstraße. Ein der größten europäischen Sammlungen zur Geschichte des Zirkus breitet sich hier über eine Vielzahl von Vitrinen und Schaukästen aus. Was Markschies-van Trix mühselig im Laufe der Jahrzehnte zusammengetragen hat, ist ergänzt worden durch museumseigene Exponate. Gezeigt wird jetzt die Geschichte des Varités und des Zirkus in Berlin vom Beginn der Jahrhundertwende bis in die Dreißiger Jahre.

Der Zirkus hat sein Gesicht verändert. Tierpfleger und Angestellte der Zirkusse aus der ehemaligen DDR stellen sich mit ihren Tieren bettelnd an den Straßenrand, Löwen und andere Raubtiere müssen eingeschläfert werden, und die Abgänge der einzigen staatlichen Schule für Artistik in Europa wissen nicht, wie sie in Zukunft Geld verdienen sollen. Als ein Zirkus aus der DDR vor einigen Monaten zu einer Tournée in die Sowjetunion aufbrach, führte man ganze Wagenladungen von Büchsenbier mit, denn, so wußte man, nur der Erlös aus dem Bierverkauf brachte das nötige Kleingeld, um Tiere und Artisten unterhalten zu können. Über den Eintrittspreis war da nichts zu machen. Zirkus »Busch«, traditionsreichstes Unternehmen aus der DDR, fristet sein Dasein wie ein Haufen Vaganten und Spielleute aus dem frühen Mittelalter. Dagegen kann man in der Ausstellung in der Inselstraße das Modell vom festen Bau des Zirkus Busch bestaunen, von dessem realen Vorbild kriegsbedingt im Berliner Stadtbild allerdings jede Spur fehlt.

Der Zirkus hat nicht nur sein Gesicht verändert, sondern auch seine Funktion; Zirkus ist nicht mehr fürs Wochenende da, sondern ist den variablen Zeitpunkten der Fernsehübertragung verpflichtet. Zirkus ist kein Nervenkitzel mehr, er ist Nostalgie. Je mehr Nostalgie, desto besser, aber auch langweiliger. Am nostalgischsten ist das Museum.

Napoleon I. ordnete nicht nur die politische Landschaft Europas neu, sondern veränderte auch die des Theaters. Seine Theatergesetzgebung von 1806 trennte das dramatische Theater von dem der Raritäten und Kuriositäten. Daraufhin nannten die Brüder Franconi in Paris, um ihr Pferdetheater zu erhalten, 1807 ihre Bühne Cirque Olympique. Das sollte zum Gattungsbegriff werden.

Um die Jahrhundertwende gab es in Berlin ein knappes Dutzend fester Zirkusbauten und unzählige Varietétheater. Weltwirtschaftskrise, Krieg und veränderter Publikumsgeschmack zwangen den Zirkus zurück in die Zelte und auf die Wanderschaft. Diesen Prozess belegt die Ausstellung eindrucksvoll mit Dokumenten und Abbildungen. Das Varieté dagegen konnte die Zeit ohne Blessuren überstehen, worauf stellvertretend schon die Form der Bühne und die Präsentation des auf ihr Dargebotenen hinweisen. Varieté ist an eine Bühne gebunden, ist überschaubar und gleichzeitig illusorisch, denn hier gibt es Vorhang und Kulisse, Technik und Dramaturgie — der Zirkus ist vom Zuschauer von allen Seiten begehbar. Das Varieté hat die Typologie einer intimen Bar; der Zirkus den eines Kirchenschiffes.

Auf 250 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden mehr als 100 Bilder und Fotografien gezeigt; Requisiten, Kostüme, dazu zwei Modelle — vom Zirkus »Busch« und dem Wintergarten — weiter OriginalPlakate, Programme und ein ausgestopfter Löwe, der, als noch Leben in seiner Haut steckte, vor einigen Jahren in der Dressurgruppe des Dompteurs Hanno Coldam arbeitete. Da gibt es neben Künstlerausweisen, Tarifverträgen, Klageschriften und Handzetteln aus den Zwanziger Jahren auch ganz frühe Zeugnisse der Zirkusentwicklung zu sehen. Rastelli, der Wunderjongleur, hat seine eigene Abteilung, Claire Waldorf ist verteten (denn auch das Kabarett findet sich in dieser Sammlung wieder), Handzettel der berühmten »Kunstreiter- und Springergesellschaft« vom Beginn des 19. Jahrhunderts; daneben Archivalien und Dokumente. Das Ganze ist lehrreich und präzise aufbereitet; bildstark und chronologisch exact.

Vielleicht ist es diese Überfülle an Zeitzeugen, die den Eindruck vermittelt, nach Besuch der Ausstellung nichts gesehen zu haben. Pädagogisch und didaktisch überfrachtet; zu sorgsam und pingelig vom Staub der Geschichte befreit, verlieren die Plakate und Kostüme den Reiz des Circensischen. Als Objekte liebloser Museologie raumfüllend ausgebreitet fehlt ihnen das Rascheln von Sägespänen, das Schmettern der Tuschs und der strenge Geruch der Tiere, es fehlt neben dem Anschaulichen das Faßbare, neben der Geschichte das Geschichtenerzählen.

Nichts könnte mehr die Situation des Zirkus beschreiben als diese Ausstellung. Volker Handloik

In der Inselstraße 7, täglich geöffnet von Mittwoch bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr

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