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Geschichte in der Mache

Während US-Flugzeuge Bagdad bombardieren, monopolisiert der US-Nachrichtenkanal CNN die weltweite Berichterstattung  ■ Aus Washington Rolf Paasch

18.31 Uhr Washingtoner Zeit: (0.31 Uhr MEZ) Die gerade begonnene Nachrichtensendung der Fernsehstation ABC wird unterbrochen. Mitten im Beitrag über das Warten auf den Krieg wird direkt nach Bagdad umgeschaltet. Von dort, aus dem Al Rashid-Hotel auf der Westseite des Flusses, berichtet Reporter Gary Sheppard über Telefon von ungewöhnlichen Vorkommnissen: Leuchtspurgeschosse erleuchten den Himmel. Aus der Ferne ist Raketenabwehrfeuer zu vernehmen. In Bagdad ist es 2.31 Uhr in der Nacht zum 17. Januar.

Doch noch sind sich die Fernsehleute des Kriegsbeginns nicht sicher. Deswegen folgt zunächst ein Werbespot. Sich noch fragend, ob er gerade dem Ausbruch der Feindseligkeiten beigewohnt hat, wird der Zuschauer erst einmal aufgefordert, Fleischmanns cholesterinfreie Margarine zu kaufen. „Oder brauchen Sie einen Herzinfarkt, um Ihr Leben zu ändern?“

18.50: Uhr: Der Korrespondent im Weißen Haus berichtet, wie Regierungssprecher Fitzwater zum Präsidenten gerufen wird. Regierungsbeamte rennen über die Flure zum Oval Office.

Die Israelis, die davon ausgehen, daß es für die Ladung der irakischen Scud-Raketen mit ihrer möglicherweise chemischen Fracht eine Vorwarnzeit von zwei Stunden gibt, geben sich in ersten Reaktionen relativ gelöst. Sie haben das Verstummen des irakischen Rundfunks wahrgenommen.

18.58 Uhr: 'Associated Press‘ meldet aus Saudi-Arabien offiziell den Kriegsbeginn. Um 12.50 Uhr Ortszeit habe das erste Geschwader der F-15-Bomber mit dem Ziel Irak den Stützpunkt in Zentral-Saudi- Arabien verlassen. „Dies ist Geschichte in der Mache“ zitiert die Nachrichtenagentur einen Armeesprecher.

„Die Schlacht hat begonnen“

19.00 Uhr: „Die Schlacht hat begonnen“, erklärt der ABC-Korrespondent in Bagdad, wo sich das Abwehrfeuer verstärkt und wo in der Nähe des TV- und Kommunikationszentrums nördlich seines Hotels die ersten Bomben einschlagen. Zahlreiche Explosionen erschüttern die Viermillionenstadt.

19.01 Uhr: Die ABC-Leitung nach Bagdad bricht ab. Die amerikanische Nation schaltet auf den Kabelkanal CNN um, der von nun an in aller Welt, von der Schweiz bis Israel, von den lokalen Fernsehstationen übernommen oder als wichtigste Quelle zitiert wird. Die CNN-Reporter John Holliman, Peter Arnett und Bernhard Shaw im 14. Stockwerk des Al-Rashid-Hotels werden zu den zentralen Zeugen dieser ersten Kriegsnacht.

19.02 Uhr: Regierungssprecher Fitzwater tritt im Weißen Haus vor die Kameras. „Die Befreiung Kuwaits hat begonnen.“ Aus „Operation Wüstenschild“ ist „Operation Wüstensturm“ geworden. Präsident George Bush wird sich in genau zwei Stunden in einer Ansprache an die Nation und die Welt richten. Das Timing ist nicht zufällig. Des Präsidenten Worte werden beim CNN-Zuschauer Saddam Hussein just zu dem Zeitpunkt eintreffen, an dem die Iraker sich beim ersten Morgenlicht einen ersten Überblick über die in der Nacht angerichteten Zerstörungen verschaffen können.

19.08 Uhr: In Bagdad gehen die letzten Lichter aus, als in der Nähe des Rashid-Hotels eine Bombe einschlägt. Die CNN-Reporter diskutieren, ob sie nicht die Notbeleuchtung ihres Hotelzimmers eigenhändig zerschmettern. „Wenn dies ein chirurgischer Angriff ist“, sagt einer der Berichterstatter, einen Scherz über die verharmlosende Sprachregelung der Militärplaner versuchend, „dann möchte ich nicht auf dem Operationstisch liegen“.

19.20 Uhr: Auch in Saudi-Arabien heulen die ersten Sirenen. Der Alarm, der auch ABC-Reporter Charles Jaco mitsamt Gasmaske in den Bunker treibt, stellt sich später als Test heraus. Meldungen der BBC vom Abfeuern fünf irakischer Scud- Missiles stellen sich als falsch heraus.

19.35 Uhr: ABC hat den ersten aus einer ganzen Heerschar von Militärexperten ins Studio geholt, die den Zuschauern für den Rest der Nacht die Eigenschaften der eingesetzten Waffensysteme von Freund und Feind erklären. General James Trainor besitzt eine intime Kenntnis der irakischen Armee. Woher er sie hat, wird nicht erläutert. Im Augenblick, so schätzt er, seien 400 bis 600 US-Flugzeuge in der Luft, um die Radar-, Verteidigungs- und Kommunikationsanlagen des Iraks außer Gefecht zu setzen.

James Trainor beschreibt genau, wie die Cruise Missiles der Tomahawk-Klasse sich unterhalb der Radarschwelle des Feindes an die wichtigen H-2- und H-3-Raketenstellungen im Westen des Iraks heranschleichen; wie weit überlegen die für Radar unsichtbaren F-117-Stealth- Kampfflugzeuge und die ebenfalls mit Nachtsicht fliegenden F-15-Eagles und A-6-Bomber der Navy sind, wie die Bomber ihren Weg mit Hilfe digitalisierter und in den Flugcomputer einprogrammierter Landkarten beinahe automatisch zurücklegen können und wie die normale Version der sowjetischen Scud-Rakete für den „Krieg der Städte“ im Krieg gegen Teheran von den Irakern durch eine Verringerung ihrer Ladelast in der Reichweite verbessert werden konnten.

„Den Diskussionen heute abend“, so bemerkt der ABC-Moderator Peter Jennings, „haftet eine gewisse antiseptische Qualität an“. „Und“, so fragt Jennings weiter, „ist das nicht unheimlich, daß wir noch gar keine Berichte von irakischen Gegenattacken gehört haben?“

19.45 Uhr: Vom UNO-Gebäude in New York meldet sich die einzige weibliche Reporterin, die an diesem Abend über die Ereignisse berichten wird. Ansonsten ist die Kriegsberichterstattung von der Front, aus den Hauptstädten und aus dem Studio in den vier konkurrierenden TV- Netzwerken reine Männersache.

Perez de Cuellar, der in diesen Tagen und Stunden etwas verloren wirkt, kommentiert die Aufnahme kriegerischer Auseinandersetzung zunächst mit den Worten: „Ich bin nicht sehr gut informiert. Ich weiß nicht, was geschehen ist.“ Später wird der UNO-Sicherheitsrat zusammentreten.

19.56 Uhr: Das Weiße Haus läßt die ersten Meldungen über den Entscheidungsprozeß George Bushs durchsickern. Als erstes war am Mittwoch morgen der saudische Botschafter in den USA, Prinz Bandar, von Außenminister Baker ins State Department gerufen worden. Nach seinem von dort getätigten Anruf bei König Fahd habe dieser dem Präsidenten für den Kriegsbeginn grünes Licht gegeben.

Den Befehl zum Kriegsbeginn habe er Verteidigungsminister Dick Cheney dann am Nachmittag überreicht. Die Order lautete schlicht und einfach: „Execute!“ Um 17.30 Uhr begann George Bush die Führer des Kongresses über den bevorstehenden Angriff zu informieren. Zwischen 18.30 und 19.00 Uhr telefonierte er mit den Staatschefs der Alliierten.

„Wunderbares Feuerwerk“

20.30 Uhr: Der Krieg ist erst anderthalb Stunden alt, da macht sich in der 14. Etage des Al-Rashid-Hotels bei der CNN-Mannschaft schon Begeisterung breit. „Ist das nicht wunderbar, dieses Feuerwerk aus Leuchtspurgeschossen“, entfährt es einem der Crew.

Gerade haben sich die drei gegenüber dem irakischen Offiziellen durchgesetzt, der sie von ihrem Beobachtungsposten für die ganze Welt hinunter in den Kellerbunker schicken wollte. Mit den Worten „Ich war in Vietnam, ich halt's in solchen Bunkern nicht aus“, habe er den Saddam- Gehilfen abblitzen lassen, erklärt Peter Arnett stolz den Fernsehzuschauern daheim über die immer noch intakte Telefonleitung. Die drei werden aus dem Heimatstudio in Atlanta immer wieder gelobt. „Unsere Männer in Bagdad“, das ist der Stoff, aus dem sonst Romane geschrieben werden.

20.45 Uhr: Eine neue Welle von Angriffen geht über Bagdad hinweg. Langsam wird der Mangel an irakischer Gegenwehr fast peinlich. „Haben wir die militärischen Fähigkeiten der Irakis vielleicht total überschätzt?“, fragt Peter Jennings im Studio den früheren CIA-Direktor William Colby. Schließlich hat die CIA auch die militärische Bedrohung durch die UdSSR jahrzehntelang überschätzt, wie im letzten Jahr bekannt wurde.

20.48 Uhr. Zum ersten Mal an diesem Abend verlassen wir das militärische und politische Szenario. CNN-Reporter Robert Vito meldet sich aus einem Wohnblock des Navy- Stützpunkts im kalifornischen San Diego. Zum ersten Mal an diesem Abend — sieht man von der UNO Reporterin ab — treten in der Berichterstattung Frauen auf. Die Frauen weinen, reden über ihre Männer, Kinder und davon, daß sie trotz aller Angst und Sorge „voll hinter ihrem Präsidenten stehen“. All diese Frauen, meist schlecht ernährt und fettleibig, gehören zur Klasse der sogenannten „working people“, denen auch im US-Fernsehen nur eine Rolle zukommt: die der Opfer.

20.56 Uhr: Präsident Bush, so hören wir aus dem Weißen Haus, ist dagegen in dieser Stunde „ganz ruhig“, „entspannt“ und „mit sich selbst im Reinen“. Gleich wird er seine selbstgeschriebene Fernsehansprache vorlesen, an der er schon seit zwei bis drei Wochen, schon in seinem Weihnachtsurlaub in Camp David, gefeilt hat.

Danach werden die Bushs mit ihrem Freund, dem Prediger Billy Graham, zu Abend essen, ein Mann der schon Richard Nixon und Lyndon Johnson in schweren Stunden spirituellen Beistand leistete. Nach dem Essen wird der Präsident wie immer früh zu Bett gehen.

So wie in den Fernsehstudios schon jetzt eine militärische Erfolgsmeldung nach der anderen eintrifft, braucht sich George Bush heute abend keine Sorgen zu machen. Für ihn hat die Zeit einer neuen Weltordnung rundum zufriedenstellend angefangen.

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