: Alle reden vom Krieg und trinken
■ Die Frontstadt Berlin und der Kampf in der Wüste
Der Krieg hat begonnen. Bomben in Bagdad, Freude an der Börse und Demonstrationen an der Spree. Die Stimmung ist anders, aber wie? Eine Reportage
von Detlef Kuhlbrodt.
Im Ostberliner »Kartoon« ist die Vorstellung der neuen Zeitung des Henschel-Verlags 'Verriß‘ gerade zu Ende gegangen. Es ist ein Uhr nachts. Das Büffet wird abgeräumt. Ein altachtundsechziger Anarchist ist für den Krieg. »Die faulen Säcke, die Soldaten, sollen mal was zeigen fürs Geld!« Jemand anders mutmaßt, daß eine japanische Fernsehgesellschaft Saddam Hussein Milliarden dafür geboten hätte, daß er unnachgiebig bleibt. Die Stimmung ist gelöst bis heiter. Unter den Linden läuft den Heimkehrern eine kerzentragende Friedensdemonstration über den Weg. Wie eine Platte, die zu langsam läuft, klingt ihr Gesang: »All we are saying is give peace a chance.« Die zweihundert DemonstrantInnen sehen aus, als wären sie Teil einer Fernsehinszenierung. Wenn sie gewußt haben, daß der Krieg gerade begonnen hat, haben sie es jedenfalls keinem zu verstehen gegeben. Zwei Bullenautos Ost begleiten sie. Sonst ist niemand auf der Straße. Zu Hause sagt das Fernsehen, daß der Krieg angefangen hat.
»You fucking people don't know what freedom is«
Tags zuvor hatte man sich im »Ex und Pop« unter dem Motto »Alle reden vom Krieg — wir trinken« auf den Ablauf des Ultimatums vorbereitet. Alle »Golfspieler« hatte man zum Mittrinken animiert, der Barkeeper war mit Feuerwerksraketen gekommen und wollte aus Lenins Was tun vorlesen. Nach Ausbruch des Kriegs ist die Stimmung eher gedrückt. Abgebrochene Studenten, ältere Semester, Musiker und Helden des Nachtlebens scheinen ruhiger als gewöhnlich zu sein. Im Lautsprecher gibt's Good Vibrations von Psychic TV. Zwei Amerikaner am Tresen hoffen, daß »wir« nicht so viele Soldaten verlieren. Anders als in den türkischen Kneipen, wo man die Kriegsberichterstattung live im Fernsehen verfolgt, laufen hier nur Videoclips. Alle reden vom Krieg und trinken.
Eine junge Frau am Tresen kann die FriedensdemonstrantInnen nicht leiden; die hätten im Fernsehen so »ekelhaft selbstzufrieden« gewirkt und würden außerdem »peinlich« aussehen. Doch wenn keiner auf die Straße gehen würde, wäre es noch schlimmer. Die Blockierer der Golden Gate Bridge in San Francisco würden besser aussehen, und der Protest solle sich ästhetischer und zeitgemäßer formulieren.
Nach Kriegsbeginn hört man wieder Witze
Sie kommt trotzdem mit zum Breitscheidplatz. Mit den Worten »You fucking people don't know what freedom is« (»Ihr Arschlöcher wißt doch überhaupt nicht, was Freiheit ist«) beschimpft dort ein US-Soldat einen Friedensdemonstranten. »Freedom is just another word for nothing left to loose«, entgegnet man ihm. Jedes zweite Wort des Soldaten ist »fucking«. »Fucking« fehlt nur bei »freedom«. Da leuchten seine Augen statt dessen.
An einer Wand der Kirche sind Kinderbilder über die USA, den Irak und Krieg aufgehängt. Auf Plakaten wird an die Verantwortung der Mütter appelliert. Die Wandzeitung am Ku'damm-Karree leuchtet auf rotem Grund: »Gegen Krieg!« Den Zettel an der Gedächtniskirche, auf dem jemand tags zuvor seinem Unwillen darüber Ausdruck gab, daß die Kirche geschlossen ist, hat man inzwischen entfernt: »Warum die Kirche ist zu! Zum Glück Gott wartet nicht darin, daß er rausgelassen wird.«
Eine Minute lang, als Autonome die nächtliche Ku'dammblockade ergänzen, bestätigen die Bullen ihren Arschlochruf und knüppeln auf alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Ob er denn nicht seine freie Meinung äußern dürfe, meint ein selbsternannter Rambo danach und, darauf angesprochen, daß er doch sicher auch gegen den Krieg sei: »Vielleicht gehören wir ja auch zu denen, die für den Krieg sind«, und: »Ihr lauft ja sowieso hinter jedem her.«
In Schulen, Amtsstuben, Zeitungen und im Hausflur grüßen sich inzwischen manche zum ersten Mal, als würde es kein zweites geben. Vor Ablauf des Ultimatums war die Stimmung depressiver. Nach Kriegsbeginn hört man wieder Witze. Die mediale Kriegseinstimmung hat gegriffen. »Und dann hab' ich mir den Fernseher angemacht und hab' mir den Krieg angeschaut«, meint eine Krankengymnastin. Von ihrem Kundenkreis seien die Älteren gegen den Krieg, die Jüngeren dafür. Sie freuen sich darüber, daß Saddam Hussein »eins auf die Mütze kriegt«, oder hoffen, daß ihm »der Hals abgeschnitten« wird.
»Die Angst ist aus den Kursen raus«
Viele verabreden sich mit Kabelangeschlossenen oder telefonieren miteinander über die Bilder im Fernsehen. Auf allen Kanälen sendet der US-Propagandasender, dessen Berichterstattung ausdrücklich vom US-Verteidigungsminister gelobt wird. Von den Auswirkungen auf die Bevölkerung ist in den Minutenclips so gut wie nie die Rede. Die Bilder vom Bombardement auf Bagdad sind ästhetisch einwandfrei. Das ist auch beabsichtigt. Im dritten Westfernsehen wird von der Börse berichtet. »Die Angst ist aus den Kursen raus«, sagen Börsenmakler. Manager sprechen wortwörtlich von einer »bombigen Stimmung«. Wer das Fernsehen nicht mehr ertragen kann, schaltet um aufs Radio. CNN ist »Sieger im Medienkrieg«, sagt das Radio irgendwo, und ein paar Sender weiter, auf DT64, werden Sportler zum Krieg interviewt. »Die Sportler sind wieder einmal die Opfer«, heißt es, weil sie, wie die enttäuschten Spieler des FC Hansa Rostock, nun nicht ins US-amerikanische Trainingslager fahren werden.
Im Kinderprogramm von Tele5 spielen sie Udo Lindenberg mit Kinderchor: »Wozu sind Kriege da?« Wie bei den Demonstrationen dominiert auch im Lied das Klischee von der Frau als Hüterin und Bewahrerin des Lebens: »Keine Mutter will ihre Kinder verlieren und keine Frau ihren Mann«, säuselt Udo mit Kinderchor. Die Bilder vom Golfkrieg hat das Fernsehen innerhalb kürzester Frist zum Videoclip zerstückelt, zusammengeschnitten, unwirklich gemacht und dem Song unterlegt. »Es war wie im Kino«, berichtete ein englischer Pilot nach seinen Angriffen. »Man muß rausgehen«, sagt eine Freundin, »denn die Demos helfen einem, nicht mehr Fernsehen zu gucken.«
Vierjährige Kinder ziehen mit ihren ErzieherInnen durch Kreuzberg. Als Ausdruck der Hilflosigkeit des erwachsenen Protestes hat man ihnen Antikriegsschilder in die Hand gedrückt. Einer Schülerdemo auf dem Potsdamer Marktplatz gibt der dortige Bürgermeister zu verstehen, daß auch er für ein sofortiges Ende des Golfkriegs sei, als könnte er schnell mal mit Bush telefonieren und ihn überzeugen, daß es besser sei, Frieden zu machen.
An einem Kiosk am Alex steht ein ehemaliger NVA-Soldat einem Palästinenser gegenüber. Wenn es »Terroranschläge« geben sollte, will er sich eine Kalaschnikov besorgen und alle »Türken« niedermähen. Der Palästinenser, der für einen Türken gehalten wird, zögert, bevor er sich als Palästinenser und Anhänger Saddams zu erkennen gibt. Die üblich- absurde Ost-Diskussionssituation ergibt sich, und der, der »im Falle eines Falles« alle »Türken« niedermähen will, gibt dem ein Bier aus, den er niederschießen würde.
Und jemand spielt den Trauermarsch von Chopin
In die gegen die »Abwicklung« bestreikte Humboldt-Uni, in den »Aufruhr mit Kultur« flüchten sich von Tränengas- und Schlagstockeinsätzen an der ehemaligen amerikanischen Botschaft versprengte DemonstrantInnen. Die Stimmung ist gedrückt. Tamara Danz, Sängerin der Rockgruppe Silly, beschimpft die »gehirnmutierten« Politiker und begrüßt es, daß der Ku'damm brennt, wenn er brennt. Man dürfe jedoch nicht die anderen Probleme, Vilnius, Riga, Dritte Welt und die »Besatzermentalität« des Westens gegenüber dem Osten, vergessen. Von »Westbesatzern« sprachen fast alle Künstler im Audimax der Humboldt-Uni zwei Tage lang. »Im Westen schmeckt die Scheiße nach Schokolade.« (Barbara Thalheim). Popmusiker West halten bislang das Maul zum Golfkrieg.
In der Weinstube in Prenzlauer Berg spielt jemand den Trauermarsch von Chopin, wechselt später zur DDR-Nationalhymne. Damals sei die Welt noch in Ordnung gewesen. Ein Gast will noch in den Franzclub zum Tanzen. In der U-Bahn singen Ostler und Türken gemeinsam von der Arbeitereinheitsfront.
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