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Positiv nach vorne gedacht

■ Boris Becker erreichte durch einen Sieg im längsten Match der Australian-Open-Geschichte gegen Omar Camporese das Achtelfinale/ Steffi Graf kam ohne Mühe weiter, Michael Stich schied aus

Melbourne (dpa/taz) — Sein Begegnung in der dritten Runde der Offenen Australischen Tennismeisterschaften in Melbourne mit dem Italiener Omar Camporese hatte sich Boris Becker sicherlich etwas leichter vorgestellt. Als er das längste Match, das je bei den Australian Open gespielt worden war, schließlich nach fünf Stunden und elf Minuten gewonnen hatte, wußte er nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Die ganze Zeit glaubte er, den entscheidenden fünften Satz mit 15:13 gewonnen zu haben; in Wirklichkeit war er ein wenig früher fertig gewesen. Das Match hatte 7:6, 7:6, 0:6, 4:6, 14:12 für den Weltranglistenzweiten geendet.

Minutenlange stehende Ovationen der 6.000 Zuschauer auf dem überfüllten Platz eins verabschiedeten die beiden Kontrahenten, die sich beim Davis Cup Anfang Februar in Dortmund erneut gegenüberstehen werden, und Becker flüsterte Camporese, der stolze 21 Asse geschlagen hatte, voller Bescheidenheit ins Ohr: „Ich glaube, sie klatschen für dich.“ Den Italiener konnten die Begeisterungsausbrüche des Publikums indes nicht allzusehr trösten. „Sehr müde“ sei er, außerdem habe er ein Problem: „Ich habe verloren.“

Am Anfang hatte Becker, der nur einmal, beim denkwürdigen, ebenfalls gewonnenen Davis-Cup-Match gegen John McEnroe in Hartford/ Connecticut, länger auf dem Platz gestanden hatte, zwar bereits große Schwierigkeiten mit dem 22jährigen Bologneser, konnte aber die ersten beiden Sätze jeweils im Tie-break mit 7:4 und 7:5 für sich entscheiden. Im dritten Durchgang lag er dann schnell 0:4 zurück, dachte sich „Vergiß es“ und gab den Satz sang- und klanglos mit 0:6 ab. Auch danach erholte er sich nicht vollständig, Camporese gewann auch den vierten Abschnitt, wenn auch erheblich knapper, mit 6:4.

Im fünften Satz, in dem es bei Grand-Slam-Turnieren keinen Tie- break gibt, war dann aber alles wieder offen. Bis zum 10:10 brachten beide Spieler unermüdlich ihren Aufschlag durch, dann schien schon alles gelaufen zu sein, als Becker dem Italiener das Service abnahm, bei eigenem Aufschlag 40:0 führte und drei Matchbälle hatte. Camporese riß sich jedoch noch einmal zusammen, machte fünf Punkte in Folge und glich zum zum 11:11 aus. Becker war hellauf entsetzt und verriet später: „Ich konnt's nicht glauben.“

Im 25. Spiel des fünften Satzes, der insgesamt 2:05 Stunden dauerte, verlor Camporese trotz einer 40:0-Führung dann erneut seinen Aufschlag und diesmal ließ sich Becker nicht mehr düpieren. Den vierten Matchball verwandelte er zum Sieg und trifft nun im Achtelfinale auf den südafrikanischen Qualifikanten Wayne Ferreira.

„Hier in Melbourne passieren immer sehr merkwürdige Dinge mit mir“, stellte Boris Becker in der anschließenden Pressekonferenz fest. „Dieses Spiel ist in meiner Rangliste unter den top fünf, ich hatte nur gehofft, daß es heute überhaupt noch zu Ende geht. Aber ich hoffe, daß ich meine härteste Probe jetzt hinter mir habe. Ich habe immer nur versucht, positiv nach vorne zu denken. Ich werde wohl heute und morgen etwas früher schlafen gehen.“

Bei so viel Dramatik konnte Steffi Graf nicht mithalten. Gewohnt geschäftsmäßig entledigte sie sich ihrer Aufgabe gegen die Australierin Nicole Provis in 58 Minuten. „Einige gute Ballwechsel“, habe es immerhin gegeben, sagte Graf, die 6:4, 6:2 gewann und in der nächsten Runde auf die 17jährige Karina Habsudova aus Bratislava, 127. der Weltrangliste, trifft. Diese Gegnerin kenne sie „überhaupt nicht, da muß ich erst meinen Trainer Pavel Slozil fragen.“

Nach ihrem Einzelsieg hakte Steffi Graf mit ihrem Partner, dem Australier Mark Woodforde, noch schnell das Mixed ab, um sich dann live die Schlußphase des Becker- Matches zu Gemüte führen zu können. Die deutsch-australische Mischung besiegte Cyril Suk und Helena Sukova aus der Tschechoslowakei mit 7:6, 6:3.

Michael Stich verlor 6:7, 6:7, 6:4, 3:6 gegen den Franzosen Guy Forget, der ihn schon sechs Tage zuvor im Finale von Sydney besiegt hatte, und war „wahnsinnig enttäuscht“. Vielleicht habe Forget ein bißchen konstanter gespielt, meinte der 33. der Weltrangliste, „aber ich werde jetzt nicht lange trauern, das bringt nichts. Insgesamt hat sich der Trip nach Australien sicherlich gelohnt.“

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