: Moskauer Versteckspiel
■ Mysteriöses „Verschwinden“ der jüngsten Ausgabe von 'Moskowskije Nowosti‘/ Ein Fall von Zensur?
Berlin (taz) — Die gesamte Auflage der sowjetischen Wochenzeitung 'Moscow News‘ ist „verschwunden“. Die Zeitung sollte am Mittwoch dieser Woche an über eine Million Abonnenten und an Kioske ausgeliefert werden, kam bei den Adressaten allerdings nie an. Die Moskauer Redaktion kann sich nach Angaben von Andrej Gurkow, Mitarbeiter der in Köln herausgegebenen deutschsprachigen 'Moscow News‘, das spurlose „Verschwinden“ nicht erklären. Jedenfalls sei sie in keiner Weise über irgendwelche Zensurmaßnahmen informiert worden.
Die Auflage der 'Moskowskije Nowosti‘ war erst Ende 1990 auf über 1,2 Millionen Exemplare erhöht und damit praktisch verdoppelt worden. Etwa 20 Prozent davon erscheinen in Moskau.
In der mit einem Trauerrand versehenen Ausgabe der Mittwochzeitung war auf der Titelseite die Militäraktion in Vilnius als Verbrechen und ersten Schritt auf dem Weg zur Diktatur bezeichnet worden. Ministerpräsident Gorbatschow hatte mit Bezug auf diesen Beitrag noch am gleichen Tag vor dem Obersten Sowjet eine Einschränkung der Pressefreiheit gefordert, ließ das Vorhaben allerdings nach massiver Kritik aus den Reihen der Abgeordneten wieder fallen (siehe taz von gestern). Kurz danach verschwand die Zeitung.
Auf die Frage der taz, welche Konsequenzen dieser Vorgang für die Ende Januar in der Bundesrepublik geplante Ausgabe haben wird, in der derselbe inkriminierte Artikel abgedruck werden soll, erklärte Gurkow, er wolle seine Zeitung auf jeden Fall erscheinen lassen, auch wenn es aus Moskau Versuche geben sollte, dies zu verhindern: „Irgendwann muß man 'mal den Rubikon überschreiten.“
Die 'Moscow News‘ ist eine der 15 Zeitungen, die im Verbund mit der taz zu Weihnachten eine internationale 'World Media‘-Ausgabe zum Thema Neue Welt-Unordnung publiziert haben. Barbara Geier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen