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„Die Soldaten sind die wahren Pazifisten“?

Die Erinnerung an den Algerienkrieg ist zu frisch, als daß Frankreich in Kriegsbegeisterung ausbrechen könnte — zumal die arabische Welt gleich um die Straßenecke beginnt/ Tausende Maghrebiner verlassen Frankreich aus Angst vor Bürgerkrieg  ■ Aus Paris A. Smoltczyk

Krieg in Frankreich. Im Fernsehen ist von „Operationen“ die Rede, von „Druckverstärkung“, eingesetzten „Apparaten“, „Phasen“, „Dispositiven“ — und viel von „Chirurgie“. Die Sender haben dem Kriegsministerium einen Verhaltenskodex versprochen: keine Bilder von Opfern, „solange die Familien nicht benachrichtigt sind“, keine „unverhältnismäßigen“ Berichte über Proteste. Bagdad ist ein kleines schwarzes Viereck. Das ist die Front. Aber wohl nicht die einzige.

Die Front verläuft auch vor dem Café „Zur weißen Drossel“ im arabischen Stadtviertel La Goutte d'Or, wo gestern morgen eine Gruppe von Männern herumstand und nicht verstand, weshalb Saddam Hussein den Angriff nicht abwehren konnte. In den Läden der umliegenden Straßen sind die Radios laut aufgedreht; die Menschen dagegen ziehen es gegenüber Fremden vor, leise zu bleiben: „Es ist schlimm. Ich möchte nicht darüber sprechen“, meint der Verkäufer einer Halal-Metzgerei in der Rue Myrha. Und auch sein koscherer Kollege Bensimon in der Rue des Rosiers im Marais-Viertel, wo viele orthodoxe Juden leben, zieht auf die Journalistenfragen nur wortlos seinen Pullover hoch. Die Narbe habe er sich beim letzten Krieg geholt. Manchmal schmerzt sie noch.

Von Kriegsbegeisterung ist weder in Marais noch in La Goutte d'Or noch in den Immigrantenghettos der Vorstädte etwas zu spüren. Die angeblich so klare Front versickert, verläuft im Inneren der Menschen. Man wolle weiter gut zusammenleben, sagen sie. Er habe nur eine Furcht, sagt ein algerischer Elektriker: daß es wieder schlimmer werde für die islamischen Pariser, wie damals im Algerienkrieg — und daß der Krieg leicht zum Bürgerkrieg werden kann.

„Algerien“ — das ist das Wort, mit dem sich viele einen Reim auf diesen surrealen Krieg zu machen versuchen. Die heute 50jährigen kennen die Realität eines Kolonialkrieges aus eigener Erfahrung. Aus Korsika und Südfrankreich, wo viele Algerienfranzosen wohnen und die Front National stark verankert ist, wird gemeldet, daß maghrebinische Familien zu Hunderten das Land verlassen. Mehr als 12.000 Tunesier sind diese Woche allein aus Nizza in ihre Heimat geflogen.

Die algerische Erfahrung trennt selbst die politische Führung in zwei Fronten. Die sozialistischen Minister für Inneres, Verteidigung, Erziehung und Wirtschaft haben ihre ersten politischen Gehversuche im Widerstand gegen den Kolonialkrieg gemacht. Ganz zu schweigen von Premier Michel Rocard, dem ehemaligen Chef der links-pazifistischen PSU. Wenn Innenminister Joxe die großen Friedensdemonstrationen letztlich doch toleriert hat, dann, weil er vermeiden will, daß der Krieg in die Straßen Frankreichs getragen wird, und sei es nur in Form von Straßenschlachten. Diese Minister hätten es vorgezogen, auf größere Distanz zur amerikanischen Linie zu gehen. Nie sah man zu Kriegszeiten einen sauertöpfischeren Verteidigungsminister als Jean-Pierre Chevenement.

Mitterrand dagegen ist wie auch Außenminister Roland Dumas in seiner Vorstellungswelt mehr von dem Münchener Abkommen geprägt. Für ihn gibt es Schlimmeres als den Krieg. Er wollte den „Rang“ Frankreichs in der Welt bewahren, indem er, solange es ging, einen diplomatischen dritten Weg zu beschreiten versuchte, sich dann aber auf die Seite des Stärkeren stellte, um dann bei der Nachkriegsordnung mitreden zu können. Um sich nicht alle Sympathien der arabischen Staaten zu verscherzen, erklärte die Regierung, Frankreichs Truppen würden nur auf kuwaitischem Gebiet eingreifen, nicht aber im Irak. Womöglich wird es sich Mitterrand mit seinem Drahtseilakt vor dem Hintergrund des größten Luftangriffs der Militärgeschichte zu guter Letzt mit allen verdorben haben.

Rund 30.000 Menschen trafen sich Donnerstag abend, weil sie gegen die „Busherie“ (sprich: boucherie, Schlächterei) waren. Aber auch, weil sie gegen einen Drahtseilkurs ihres Präsidenten sind, der junge Franzosen an die Front und Plastikbomben in die eigenen Städte bringt. Auch „SOS Racisme“ hatte zu der Demo aufgerufen. Daraufhin traten prominente Gründerväter wie Bernard-Henri Levy und Pierre Berge aus der Bewegung aus. Und Andre Glucksmann schrieb ihnen gestern postwendend die Leviten: „Die Soldaten der Koalition sind die wahren Pazifisten, sie setzen ihr Leben für unseren Frieden aufs Spiel.“

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