Friedlicher Sturm auf Bundeswehr-Kaserne

■ Mehrere hundert DemonstrantInnen drangen gestern in Strausberger Kaserne ein/ Die wenigen anwesenden Soldaten reagierten besonnen

Strausberg. Die Protestaktionen in Berlin gegen den Golfkrieg fanden am Wochenende spektakuläre Höhepunkte: Gestern nachmittag drangen etwa fünfhundert DemonstrantInnen in den Innenbereich der riesigen ehemaligen NVA-Kaserne in Strausberg ein, ohne daß es zu Zwischenfällen kam. Am Samstag nachmittag hatten KunststudentInnen quer durch Berlin eine Blutspur aus vier Fässern mit Schweineblut gelegt. Für gestern hatten die AL und das Bündnis 90 im Abgeordnetenhaus und mehrere Friedensgruppen zu einer Blockade der militärischen Anlagen in Strausberg aufgerufen.

Die DemonstrantInnen versammelten sich vor dem Tor des Bundeswehrkommandos Ost, wie das jetzt heißt. Noch während der Rede des Bündnis-Abgeordneten Hans-Jürgen Fischbeck drangen einige Westberliner KriegsgegnerInnen in die Kaserne ein — das Tor ließ sich mit einem einfachen Handgriff öffnen, die Gebäude lagen offensichtlich wegen des Wochenendes fast völlig verlassen da. An der Pforte waren nur wenige Soldaten postiert, die gar nicht erst versuchten, die Eindringlinge aufzuhalten. Erzürnt reagierten die Veranstalter vom Neuen Forum, die nicht zum ersten Mal mit der westlichen Art des Widerstandes nicht einverstanden waren. »Was sollen wir denn machen? Auf diesen Fall waren wir nicht vorbereitet«, erklärte hilflos ein junger Soldat. »Solange sie friedlich bleiben, werden wir nichts unternehmen«, so ein Offizier. Ohne auf Widerstand zu stoßen, drangen etwa 300 Menschen in die weitläufigen Innenhöfe der Kaserne vor, sprühten Parolen wie »Die Bundeswehr ist eine terroristische Vereinigung« und »Stoppt den Krieg«.

Einige kletterten auch auf Dächer von flachen Gebäuden und hißten dort schwarz-rote Fahnen. Kurz bevor die Stimmung ins Aggressive umkippen konnte, stießen sie am Ende des Geländes auf eine Ansammlung von rostigen Containern, neben denen in einer Häcksel-Maschine die DDR-Vergangenheit entsorgt wurde. In Kisten und Säcken lagen dort zentnerweise Urkunden in feinstem Büttenpapier für Verdiente der NVA herum, die auf ihre Vernichtung warteten. Unter lauten Freudenrufen und rhythmischem Stampfen und Trommeln wurden sie unters Volk gebracht. Auch die anwesenden AL-PolitikerInnen bedienten sich ausgiebig. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit forderte die eisige Kälte ihren Tribut. Die meisten der Kasernen-StürmerInnen zerstreuten sich, der Rest folgte der Aufforderung der mittlerweile eingetroffenen Polizei, das Gelände zu verlassen. Am Eingang kam es noch zu längeren Debatten mit Soldaten und Offizieren, die sich bemerkenswert ruhig und gelassen verhielten. Trotz des friedlichen Verlaufs kündigte ein Sprecher der Bundeswehr Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die Veranstalter an. Kordula Doerfler