: Bernau ist kein Vorort von Berlin
■ Die Kreisstadt liegt im Schnittpunkt der großen Verbindungsstraßen und ist an Berlins Nahverkehrsnetz angeschlossen, hat aber vom Durchgangsverkehr bislang nur Dreck statt Profit
Bernau. Darauf legen sie wert, die 20.000 Bernauer: kein Vorort von Berlin, sondern eine selbständige, stetig wachsende Kreisstadt im Bundesland Brandenburg zu sein. Drei große Verkehrstrassen, die das Stadtgebiet von Bernau durchschneiden, verbinden Berlin mit dem nordöstlichen Teil Deutschlands: die Fernbahn nach Stralsund über Prenzlau, die Autobahn über die Landesgrenze nach Szczecin und die Fernverkehrsstraße 2 in Richtung Eberswalde.
Der Bernauer Bahnhof ist Endhaltestelle einer Berliner S-Bahn- Strecke. Entlang der S-Bahn-Linie hat sich ein locker bebautes Siedlungsgebiet entwickelt, das mit Bernau seinen vorläufigen Endpunkt gefunden hat. Die Stadt ist damit optimal sowohl an das umfassende Nahverkehrsnetz von Berlin als auch an überregionalen Verbindungen über Auto- und Eisenbahn angebunden.
Bernau hat eine lange und abwechslungsreiche Geschichte. Die Stadt wurde im 13. Jahrhundert gegründet und ist damit ungefähr so alt wie Berlin. Aus einer wendischen Siedlung, deren unregelmäßiges Straßennetz rund um die Marienkirche noch zu erkennen ist, entwickelte sich in mehreren Schritten der historische Stadtkern. Mit der Stadterweiterung im 19. Jahrhundert über die Befestigungsanalgen hinaus begann der Wandel der urspünglichen alten Stadt zum Stadtzentrum.
Flächendeckender Abriß in der Altstadt
Der Zustand der Bausubstanz veranlaßte die damals Verantwortlichen — angeblich — zur Entscheidung eines weitestgehenden Abrisses bei Erhaltung einiger denkmalgeschützter Einzelobjekte wie der Stadtmauer mit dem Steintor und des Pulverturms, der Marienkirche, des Kantorhauses, der Gaststätte Schwarzer Adler und des Rathauses. Nach einer städtebaulichen Leitplanung aus dem Jahre 1974 begann 1978 der Wiederaufbau mit zwei- bis viergeschossigen Wohngebäuden in üblichem Plattenschick, die dem Charme der Altstadt widersprachen. Nach der Planung sollte der Stadtkern frei vom Fahrverkehr sein. Deshalb wurde die Fernverkehrsstraße 2 auf einer neuen Trasse halbkreisförmig um den Stadtkern geführt.
Mit dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik Deutschland hat auch für die Stadtplanung in Bernau eine neue Ära begonnen. Einen kleinen Einblick in das, was auf die Bernauer zukommt, vermittelt das Markttreiben mit all seinen Nebenwirkungen im einst so stillen Fußgängerbereich und den angrenzenden Straßen. Der Stadtkern scheint aus den Nähten zu platzen. Sprunghaft ist in der Stadt die Verkehrsdichte gewachsen mit Staus und Parkplatznot, besonders im Stadtkern. Attraktive Warenangebote der ambulanten Händler und die gestiegene Kauflust als Nachholbedürfnis veranlassen viele Menschen, direkt an den Ort des Geschehens heranzufahren. Die Folgen: zugeparkte Straßen, kreisende Autos, deren Fahrer hoffen, im zweiten oder dritten Anlauf eine frei werdende Parklücke zu finden, Verdruß durch Behinderung, Lärm und Abgase. Der Stadtkern als Wohnort wird entwertet. Mit Parkzeitbegrenzungen soll dem Problem begegnet werden. Wer länger parken will, muß sein Auto auf vorhandenen Parkplätzen außerhalb des Stadtkerns abstellen und einen längeren Fußweg in Kauf nehmen.
Um die Stadt wenigstens vom Durchgangsverkehr zu entlasten, wird erwogen, die Fernstraße weiträumiger um die Stadt zu führen. Das ausgedehnte Busnetz des Landkreises ist keine attraktive Alternative zum individuellen Verkehr. Es gibt größere Lücken im Netz, Wohnstandorte sind zu weit von Bushaltestellen entfernt, und die Fahrpläne weisen zu große zeitliche Abstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden Fahrzeugen auf. Zusätzlich zum Überlandverkehr ist für das weiträumige, 47 Quadratkilometer große Stadtgebiet ein innerstädtischer Personennahverkehr zu durchdenken, der die Randbereiche zeit- und kostengünstig mit dem Zentrum und der Bahn verbindet. Neue, bereits geplante Gewerbegebiete werden dabei einzubeziehen sein. Der gesamte Umsteigeverkehr zwischen S- und Fernbahn zu Bus, Taxi, privatem Pkw und Fahrrad vollzieht sich um den Bahnhof herum. Der Bahnhofsvorplatz ist diesen Anforderungen längst nicht mehr gewachsen.
Ärgernis »Euro-Park«
Nicht ohne Einfluß auf das Leben in der Stadt Bernau wird der »Euro- Park« sein (die taz berichtete). Nach neueren Informationen wird er nicht wie angekündigt auf den Fluren von Schönow in unmittelbarer Nachbarschaft von Bernau, sondern bei Lindenberg am Schnittpunkt der F2 mit dem Berliner Autobahnring entstehen. Dieses Vorhaben folgt nicht der Absicht, die Stadt an vorhandenen Radialen des Eisenbahnnetzes zu entwickeln, sondern liegt zwischen ihnen, im Freiraum, der weitgehend unbebaut bleiben sollte. Die daraus resultierenden Verkehrsprobleme werden aber die Berliner stärker zu spüren bekommen als die Bernauer. Wilfried Stallknecht
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