: Alternative Abschalten?
■ Gibt es eine Kultur des Nachrichtenvermittelns in Kriegszeiten? / Gespräch mit Theo Schlüter, Politikredakteur im Hörfunk von RB
taz: Die Medien führen den Krieg mit — dieser Vorwurf begleitet die Berichterstattung v.a. der elektronischen Medien seit Kriegsbeginn.
Theo Schlüter: Ich halte zwar vieles, was zur Zeit an Medienkritik geäußert wird, durchaus für berechtigt — aber eben doch nur zum Teil. Ich seh' nicht nur an mir, wie ich am Radio hänge oder abends am Fernsehen rumswitsche und auf der Suche bin nach neuen Nachrichten. Und ich schließe von den vielen Anrufen unserer Hörerinnen und Hörer, daß die von uns aktuell wissen wollen, was passiert.
Nach welchen Dringlichkeiten entschließt Ihr Euch zu Sondersendungen?
Wir entscheiden von Tag zu Tag, ob sie notwendig sind — also wenn absehbar ist, ob was passiert. Außerdem können wir jederzeit mit aktuellen Fakten das laufende Programm unterbrechen. Die Korrespondentenberichte sind über eine Dauerleitung den ganzen Tag allen ARD-Anstalten zugänglich.
Journalismus hat ja was mit Themenauswählen zu tun. Nun ist seit dem 15.Januar Nachrichtenzensur. Wie geht Ihr damit um?
Wir sagen in regelmäßigen Abständen, daß die Beiträge unter Vorbehalt zu hören sind. Man darf aber auch nicht vergessen, daß die Korrespondenten Profis sind, die zum Teil seit vielen Jahren aus Krisenregionen berichten, die wissen, wie man mit Zensur umzugehen hat. Daß uns jemand bewußt oder aus Tumbheit 'ne Ente ins Nest setzt, das glaub' ich nicht.
Es geht doch gar nicht um Enten oder Tumbheiten, sondern darum, daß aus einer hermetischen Todes-Zone berichtet, aber so getan werden muß, als handle es sich um relativ stimmige Nachrichten.
Das ist richtig, und das ist auch ein Grund, warum wir versuchen, möglichst viele Quellen anzuzapfen oder Berichte zu nehmen aus verschiedenen Orten, ob aus Jordanien, aus Israel, aus Saudi-Ara
Theo Schlüter, RundfunkjournalistFoto: Jörg Oberheide
bien, hin und wieder ist was aus Teheran möglich. Ich unterstelle auch Hörerinnen und Hörern, daß sie sich aus einer Vielzahl von vorbehaltlichen Informationen ein Bild machen können. Zum Beispiel ist doch allen klar, daß die Zahlen über Tote und Verletzte nicht glaubhaft sind, wenn die Amerikaner von 40 und die Iraker von 27 Toten reden bei den Bomben, die da runterfallen.
Gab es bei Euch Diskussionen, ob das eine Hysterisierung ist, wenn jede Viertelstunde ein neuer Korrespondentenbericht kommt, um nach dem 2756. US-Luftangriff den 2757. Luftangriff zu melden?
Ich glaube, so machen wir das nicht. Im Moment haben wir uns entschieden, daß neben den stündlichen Nachrichten jeweils zur halben Stunde ein Politik-Redakteur auch in laufende Unter
hier den nachdenklichen
mann
haltungs-oder Musiksendungen geht, und sei es mit dem Hinweis, es gebe seit den Nachrichten keine Neuigkeiten. Damit die Leute laufend wissen, was für Nachrichten uns zugänglich sind. Unter den journalistischen Kriterien — also: Eine Nichtnews ist keine News — ist das manchmal problematisch, auf der anderen Seite meinen wir, daß die Hörer von uns erwarten können, daß wir ihnen sagen: Die Welt brennt immer noch, aber sie ist noch nicht explodiert — wie ein Kollege gesagt hat.
Kommst Du nicht manchmal in Konflikt mit der Pflicht zur sachlichen Information?
Ich will das nicht ganz ausschließen, aber — auch wenn das komisch klingt: In dem Moment, wo man unter Streß gerät, schaltet man Gefühle ab und versucht,
professionell mit Nachrichtenmaterial umzugehen. Es geht doch nicht um unsere Betroffenheit, sondern den Job zu machen. Wir kriegen auch dafür unser Gehalt, daß wir versuchen, so weit das geht, Gefühle auszuschalten. Was nicht heißt, daß wir davon frei sind oder nur noch Ansagemaschinen und Abfrageautomaten wären.
Das Radio scheint Vorteile gegenüber dem Fernsehen zu haben, das ununterbrochen auf die gleichen, weil spärlichen Bilder zurückgreifen muß — also jene Fadenkreuzbilder aus den Bombern, die uns den Krieg als saubere Arbeit zeigen.
Das Radio kann in gewisser Weise ruhiger arbeiten, also ohne diese Sachzwänge der Bilder. Deswegen hat Radio im Moment auch Konjunktur.
Was hältst Du von den CNN-TV- Reportern, die sich in einem Hotel mitten in Bagdad eingenistet haben. Sind das für Dich Helden oder Kamikaze-Journalisten?
Ich hab' da schon häufig drüber nachgedacht. Ich wär' mit Sicherheit niemand, der sich für einen Korrespondeten-Posten in dieser Region bewerben würde. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, daß wir solche Charaktere — bei denen vielleicht ein Stück Abenteuer dabei ist oder die Möglichkeit, sich einen Namen zu machen — daß wir die brauchen, daß wir sonst noch weniger wissen würden.
Die IG Medien hat diskutiert, ob man aus Protest gegen die Zensur den Sendebetrieb einstellt.
Ich fänd' das einfach abenteuerlich, wenn man sich abmelden würde. Ich vertrete: je mehr Information, je mehr Quellen man hat, um so differenzierter kann man wahrscheinlich auch mit Ängsten umgehen. Ich stelle fest, daß mir differenzierte Gespräche mehr bringen als Leute, die sich die Gesichter weiß anmalen, schwarze Kittel anziehen und Totenköpfe draufmalen — diese Leute tragen bei mir dazu bei, Panik zu vergrößern. Es geht doch jetzt auch um kühles Nachdenken. Auch in Diskussionen miteinander. Andersrum: Ich wünsche mir, daß viele Genschers oder Wischnewskis oder sonstige Krisenmanager, daß es da mehere von gäbe. Und wenn die verhandeln, und das muß irgendwann passieren, dann hoff' ich, daß die mit kühlem Kopf verhandeln und nicht mit vollgeschissener Hose.
Hast Du bisher immer kühlen Kopf behalten können?
Ich war zum Beispiel, als ich frei hatte, bei sehr friedensbewegten Freunden in Süddeutschland, die mich zu Demonstrationen mitgenommen haben. Da gab's nur noch Weltuntergangsszenarien, und wenn man das mal problematisierte, wurde einem gleich militärisches Denken unterstellt. Da bin ich in der Tat von Panik angesteckt worden, und da war ich heilfroh, als ich wieder arbeiten durfte. Die Ängste, die man überall verspürt, sind doch auch Ausdruck einer allgemeinen Hilflosigkeit. Ich erzähl Dir eine Geschichte: Adressiert an Radio Bremen kommt ein Telex von einer Frau Sowieso aus Trier, da steht drin: An Radio Bremen, Redaktion Politik, „Ich fordere sofortige Beendigung des Krieges. Mit freundlichen Grüßen, Frau Sowieso.“
Man kann Euch also durch die Berichterstattung mit einem in Frage kommenden Adressaten verwechseln.
Das glaub' ich eigentlich nicht. Die Frage für mich ist: Steckt man, weil man sich hilflos fühlt, den Kopf in den Sand, oder probiert man in dem Beruf, den man nun hat, einen Beitrag zu leisten, ein bißchen mehr rauszukriegen, sich näher an die Wahrheit ranzutasten.
Nochmal: Wir sind voll von Informationen und wissen trotzdem außerordentlich wenig. Mir wird die Schere langsam zu groß zwischen der Unwissenheit über die Opfer und dem „Wissen“, wieviel Einsätze die USA schon geflogen haben.
Das stört mich auch. Aber Abschalten ist für mich keine Alternative. Fragen: claks
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