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Zu schizophren?

Der Lili-Marleen-Komponist Norbert Schultze wird 80 und auf seine Geburtstagsparty verzichten. Schultze läßt die für Sonnabend geplanten Feierlichkeiten der Dramatiker-Union wegen des Golfkriegs ins Wasser fallen. Einen Empfang fände der in Berlin lebende Musiker im Moment »zu schizophren«. Die Musikhistoriker der 'Deutschen Presseagentur‘ teilten den Abnehmern ihrer Schultze-Geburtstagsmeldung noch allerlei Wissenswertes über den Komponisten und sein erfolgreichstes Werk mit, das auch den LeserInnen dieser Spalte nicht vorenthalten werden soll:

»Lale Andersen hatte das Lied von ‘Lili Marleen‚, das sie berühmt machte, zunächst nicht singen wollen. 1941 lauschten ihr die Truppen beiderseits der Front am deutschen Besatzungssender Radio Belgrad. Ein Unteroffizier hatte die Platte von 1938 im Keller eines Wiener Schallplattengeschäftes auf der Suche nach Schlagern für den Sender entdeckt. Die britische Armee marschierte nach der Melodie durch den Saharasand. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels hatte vergeblich versucht, die weiche und sentimentale Lale-Andersen-Fassung durch eine Marschmusikversion zu ersetzen. Die Soldaten protestierten in massenweisen Briefen an den Sender, um die Andersen-Version des Gedichtes von Hans Leip von der Lili Marleen, die ‘vor der Kaserne, vor dem großen Tor‚ unter einer Laterne wartet, zu hören. Bekannt wurde der 1911 in Braunschweig geborene Musiker mit der Märchenoper Schwarzer Peter, die 1936 in Hamburg uraufgeführt und von mehr als 100 Bühnen nachgespielt wurde. Anfang der 30er Jahre gehörte er dem Münchener Studentenkabarett ‘Die vier Nachrichter‚ an und war später Chordirektor und Kapellmeister in verschiedenen Städten und Aufnahmeleiter bei einer Schallplattengesellschaft. Schultze schrieb weitere Opern, Operetten, Chansons und Musicals und vor allem die Musik zu über 50 Filmen, darunter Käpt'n Bay-Bay mit Hans Albers, Die Mädels vom Immenhof, Das Mädchen Rosemarie, Soldatensender Calais und Der Gauner und der liebe Gott. Der 80jährige ist heute noch für die Komponistenverbände, die GEMA und die Dramatiker- Union tätig. Auch mit dem Komponieren will er wieder anfangen, sagte er zu 'dpa‘. Der Kammersänger Hermann Prey habe ihm einen Auftrag gegeben. Er träume davon, ein Musical aufzuführen. Schultze solle nun für ihn ‘Melodien schreiben, die man behält‚. Etwas Berlinisches soll es werden, verriet Schultze, was zum 65. Geburtstag Preys in zwei Jahren aufgeführt werden soll. ‘Erst mal muß man spinnen‚, meinte Schultze zum Stand der Dinge. Er tendiert zu einem Stoff aus den 30er Jahren. ‘Es fällt einem nur dann was ein, wenn man wirklich beteiligt ist.‚ Von dieser Zeit träume er immer noch schlecht. Als Komponist zu NS-Filmen wie Kampfgeschwader Lützow, Bomben auf England, Panzer rollen in Afrika und dem Durchhaltefilm Kohlberg von 1945 war Schultze später auch häufiger Kritik ausgesetzt und wurde nach dem Krieg als ‘Mitläufer‚ eingestuft.«

Soweit 'dpa‘. Bleibt die Frage, wer, da Schultze offensichtlich für den Kieg am Golf nicht zur Verfügung steht, nun mit dem notwendigen »persönlichen Engagement« für dessen musikalische Untermalung sorgen kann. a.m.

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