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Die Frage nach den Opfern stellen

Im weitgehend unbeteiligten Schweden darf offen Kritik am Golfkrieg geübt werden  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

„Der Krieg fasziniert uns Journalisten. Eine dramatische Entwicklung, aus der man große Rubriken, aus der man Sondersendungen machen kann, ein wirklicher Krieg — da muß man zupacken.“ Eine Woche, bevor er ausbrach, der Krieg, leitete die schwedische Journalistin Catarina Zagadou mit diesen Sätzen eine kritische Analyse der Rolle der Medien in einem Krieg ein. Und als es dann soweit war, sahen die Titelseiten der Zeitungen in Schweden genauso aus wie überall sonst. Dem „War!“ der US-Blätter, dem „Krieg“ der taz entsprach in Stockholm das großlettrig schreiende „Krig!“ der Abendzeitungen.

Der Konflikt am Golf war für die schwedischen Medien nach der Besetzung Kuwaits sehr schnell nur noch die Frage der vom Irak festgehaltenen AusländerInnen gewesen, das „Geiseldrama“. Der Hintergrund verschwand schnell aus den Zeitungsspalten, der militärische Aufmarsch der letzten Monate fand nur am Rande Beachtung. Auch bei Ablauf des UN-Ultimatums stand nicht die Situation am Golf im Zentrum des Interesses, sondern das, was sich gerade vor der Haustür abspielte: die Vorgänge im Baltikum. Noch am Tag des Kriegsausbruchs nahmen sie in den großen Zeitungen mehr Raum ein als der Golf.

Nein, einen erwartungsvollen Count-down der Stunden bis der Krieg doch endlich kommen mußte gab es — fast — nicht. Schweden blieb an den Geschehnissen relativ unbeteiligt; es unterstützte zwar die fristsetzende UN-Resolution gegen den Irak, schien deswegen aber deutlich zunehmende Bauchschmerzen zu bekommen. Ohne den nivellierenden Druck, dem die Medien in anderen Ländern ausgesetzt waren, reagierten sie hier ausgesprochen unterschiedlich: Das Fernsehen brachte in den ersten Tagen nach dem 15. Januar vor allem Hektik zustande, bei der Inhalte weithin auf der Strecke blieben. Konsequent zeigte sich der private skandinavische Kabel- und Satellitensender TV 3, der die zusätzlichen Nachrichtensendungen gleich unter dem Titel „Kriegsnachrichten“ ins Programm hievte. Krieg statt Eishockey.

Besser war es, gleich das Medium zu wechseln und das Radio anzuschalten. Für die schwedische Medienlandschaft nichts neues: Der — staatliche — Rundfunk stellt schon lange nicht nur das allzu betuliche und unbewegliche Fernsehen in den Schatten. Der Sender wurde auch diesmal wieder zu einem Informationsvermittler erster Klasse, dessen RedakteurInnen vor allem eines unterließen: den voreiligen US-Siegesmeldungen Glauben zu schenken. Als Fernsehen und Boulevardblätter noch die Geschichte der angeblich restlosen Vernichtung der irakischen Luftwaffe verbreiteten, stellte der Rundfunk dies unter Heranziehung von Militärexperten und einer Analyse der US-Nachrichtenpolitik überzeugend in Frage. Kritik an der Passivität der UNO, Analysen der auf Krieg, aber nicht auf Konfliktlösung zielenden Verhandlungstaktik der USA gegenüber dem Irak fanden sich auch in den beiden großen überregionalen Stockholmer Tageszeitungen „Dagens Nyheter“ und „Svenska Dagbladet“. Allerdings meist nicht auf der Titelseite oder in den Kommentarspalten, sondern dort versteckt, wo nur „wissende“ ZeitungsleserInnen gewohnt sind, zu suchen: im Kulturteil und auf Debattenseiten.

Vergleicht man die schwedische Zeitungslandschaft der letzten Tage mit dem, was hier am Kiosk aus anderen Teilen Europas erhältlich ist, fällt vor allem eins deutlich auf: Die Frage nach den Opfern wird mit großer Eindringlichkeit gestellt. Nicht irgendwo versteckt in einem Nebensatz, sondern auf den Titelseiten und als Kommentarthema. Und das unabhängig von der parteipolitischen Farbe der Blätter. Da entrüstet sich ein konservatives Blatt über die „klinisch saubere Treffsicherheit“ der Bomben und Raketen in den offiziellen US-Verlautbarungen und fragt, was wohl mit den Menschen sei, die im Zentrum dieser klinisch sauberen Treffsicherheit gelebt hätten.

Ein Minister, der später Ministerpräsident wurde, führte einst die Demonstrationszüge gegen den Krieg der USA in Vietnam an. Seitdem hat sich einiges geändert in Schweden. Im Wust der Des- und Leerinformation scheint aber ein Kern dieser offenbar gar nicht so selbstverständlichen Menschlichkeit überlebt zu haben, die das Land so lange auszeichnete.

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