: Neues Streikgesetz in Albanien
Die albanische Regierung will die sich im Lande ausweitenden Streiks mit einem neuen Streikgesetz unter Kontrolle bringen. Das Parlament verabschiedete am Dienstag ein Gesetz, wonach Streiks künftig 15 Tage im voraus angekündigt werden müssen. Danach wird zunächst ein Streiktag zugestanden. Bevor ein unbefristeter Streik ausgerufen werden darf, müssen noch einmal 15 Tage abgewartet werden. Außerdem erhält das Parlament das Recht, einen Ausstand auszusetzen, wenn nationale Interessen bedroht sind.
Seit gestern sind landesweit Tausende von Soldaten und Wehrpflichtige im Einsatz, um die „Schäden, die durch Bummelstreiks“ in der Energie- und Lebensmittelversorgung, im Verkehrs- und Gesundheitswesen und in den Großbetrieben und landwirtschaftlichen Kolchosen verursacht wurden, „zu beseitigen“, so eine offizielle Verlautbarung des Ministerrates. Gleichzeitig wird die Bevölkerung um Verständnis dafür ersucht, „daß sich nicht alle Probleme aus der Vergangenheit mit einem Schlage lösen“ ließen. Der offizielle Propagandasender Radio Tirana ruft schon seit Tagen dazu auf, dem Arbeitsplatz nicht fernzubleiben, um die Produktion zu steigern.
Diese scheint in den letzten Monaten nicht nur aufgrund der ersten legalen Streiks in den Kohlegruben von Valias oder öffentlicher Transportunternehmen gefallen zu sein, sondern „durch Verfall der Arbeitsdisziplin und durch Rechtsverletzungen in vielen Betrieben“, wie kürzlich das ZK-Organ 'Zeri i popullit‘ bemerkte. Auch die Oppositionszeitung 'Rilindija demokratiti‘ wendet sich mahnend an ihre Klientel, um sie von militanten Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen abzuhalten.
Von Woche zu Woche wird das Warenangebot armseliger. Die Bevölkerung glaubt, die herrschenden Parteibonzen schafften schnell noch etwas auf die Seite, die KP ihrerseits gibt Hamsterkäufern und „mafiaähnlichen Elementen“ die Schuld.
Über zehntausend Menschen sollen seit Dezember Albanien verlassen haben. Radio Tirana meldet, Albanien habe sich dieser Tage gezwungen gesehen, die Grenzen „zu sichern“, um den illegalen Flüchtlingsstrom in Richtung Griechenland einzudämmen. Etwa tausend Albaner wurden letzte Woche von den Griechen mit der offiziellen Begründung zurückgeschickt, sie hätten weder Paß noch Visum gehabt.
Nicht nur diese Maßnahme sorgt für weiteren innenpolitischen Druck. Nach Angaben des neuentstandenen „Forums für die Verteidigung der Menschenrechte“ kommt auch die Entlassung politischer Gefangener nur schleppend voran. Mindestens 300 Häftlinge säßen noch immer hinter Gittern, und neuerdings kämen angebliche „Randalierer bei Wahlveranstaltungen“ und „Saboteure“ von Industrieanlagen hinzu.
Wie die neue politische „Partei der Religiösen Union“ berichtet, sei es nach Aufhebung des generellen Religionsverbotes in den letzten Tagen zu Anfeindungen zwischen Moslems, orthodoxen und katholischen Christen und Juden gekommen.
Der Vorsitzende der „Demokraten“, Gramos Paschko, schließt angesichts der Entwicklungen eine albanische Parallele zu den Verhältnissen in Rumänien nach Ceausescus Sturz nicht aus. In einem Radiointerview erklärte er: „Kaum jemand war nicht in irgendeiner Weise mit dem alten Hoxha-Regime verbunden, und wenn jetzt mit diesem Regime abgerechnet wird, dann fühlen sich nicht nur die Funktionäre bedroht.“ Roland Hofwiler
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