: Zensur auf beiden Seiten
■ Über den alltäglichen Krieg und seine Opfer wissen wir heute weniger als während des Vietnamkriegs/ Medienmanipulation macht verläßliche Informationen nahezu unmöglich
„Wir fühlen uns sehr ermutigt und sind sehr zufrieden mit dem Fortschritt, den wir machen.“ General Westmoreland, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, auf einer Pressekonferenz am 16. August 1964 in Saigon.
„Die Kampagne läuft wie geplant. Wir sind zufrieden.“ Seit dem 17. Januar täglich mehrfach wiederholter Standardsatz auf den Pressekonferenzen von General Schwarzkopf, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte am Golf, und von den Pentagonsprechern in Washington.
Der Unterschied: Kurz nach Westmorelands Statement zerstörten die damals noch mit 24 Stunden verspäteten Fernsehbilder von Gemetzeln im vietnamesischen Dschungel, von toten Vietkongs und vor allem von toten GIs das Image vom schnellen, sauberen Krieg.
In den ersten sieben Tagen des Golfkriegs hingegen konnten dank CNN nicht nur die AmerikanerInnen, sondern Menschen in aller Welt das prickelnde Gefühl haben, von Anfang an ganz direkt dabei zu sein. Live oder allerhöchstens wenige Minuten nach dem Ereignis flimmern Scud-B-Einschläge in Riad oder durch das elektronische Auge von US-Kampfflugzeugen gefilmte Cruise-Missile-Abschüsse auf Ziele in Bagdad über die Fernsehschirme. Dennoch ist die Welt heute sehr viel weiter von der Realität des Krieges entfernt als vor 26 Jahren. Die Schreckensseite des Golfkriegs wird bislang von den elektronischen Medien völlig, von den Printmedien weitgehend ausgeblendet. Die einzigen Bilder und Zahlen von Zerstörung und menschlichen Opfern gab es nach den Scud-B-Raketen-Einschlägen in Israel — und auch diese kräftig zensiert von den dortigen Behörden.
Im Fernsehen ein heiles Bagdad
Ursache für diese Situation ist die Zensur und Medienmanipulation auf beiden Seiten dieses Krieges. Der Zugang für Journalisten nach Irak war schon in den Wochen vor Kriegsbeginn immer schärferen Restriktionen unterworfen. Von der staatlichen irakischen Nachrichtenagentur oder vom dortigen Fernsehen und Rundfunk abgesehen, ist die Welt inzwischen für Vor-Ort-Informationen aus Bagdad ausschließlich abhängig von CNN-Reporter Peter Arnett, den die irakische Regierung als einzigen westlichen Journalisten (noch) nicht auswies. Auch Barnett kann nur noch von der irakischen Zensur freigegebene Tonberichte übermitteln, manchmal unterlegt von Bildern des staatlichen Fernsehens, die ein heiles Bagdad zeigen. Über zivile Opfer und Zerstörungen gab es von ihm bislang keine Informationen außer den vom Irak am Dienstag offiziell an die UNO übermittelten Zahlen von 41 Toten und 196 Verwundeten (siehe Artikel oben).
Das Pentagon und die Sprecher der US- sowie der britischen Streitkräfte in der Golfregion haben sich bislang geweigert, irgendwelche konkreten Informationen über Zerstörungen oder Tote und Verwundete zu geben — mit Ausnahme der täglich wie Footballergebnisse bekanntgegebenen Zahlen der abgeschossenen eigenen und gegnerischen Flugzeuge sowie der vermißten Piloten auf eigener Seite. Seit Montag findet bei den täglich mehrfach stattfindenen „Briefings“ im Pentagon ein immer bissiger werdender Kampf zwischen den Sprechern und den Journalisten statt, die sich immer mehr verschaukelt fühlen.
Die anfangs stolz verkündete Zahl von einer „80prozentigen Erfolgsquote“ bei den Luftangriffen wird vom Pentagon immer mehr differenziert. Diese Zahl fasse lediglich die von den Piloten gemeldeten Bombenabwürfe und Raketenabschüsse zusammen. Ob die anvisierten Ziele tatsächlich getroffen wurden, ob sie ganz zerstört wurden, ob zivile Gebäude in Mitleidenschaft gezogen wurden — dies alles lasse sich erst sicher feststellen durch nachträgliche Aufklärungsflüge.
Wie groß die Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung tatsächlich sind, ob die sogenannten „Bombenerfolgsabschätzungen“ dem Pentagon inzwischen vorliegen, von ihm aber geheimgehalten werden — hier gibt es in Washington zwar zunehmend Spekulationen, die sich aber bisher mangels unabhängiger Quelle bisher nicht belegen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen