: Denkbar ist alles
■ Wiedereröffnung des Kreuzberger Wasserturms
Es fällt schwer, sie noch wahrzunehmen — die kleinen lokalen Ereignisse. Fernab von »Wüstensturm« und dem immer näher rückenden »Nahen Osten« taucht heute Abend der Wasserturm wieder aus der Versenkung auf. Dabei schien die Zukunft des eigenwilligen Veranstaltungsortes in der Kreuzberger Kopischstraße noch bis vor kurzem mehr als ungewiss. Bereits vor einem halben Jahr hatte ein Open Air Festival das vermeintliche Ende des »Rockin' Tower« markiert.
Obwohl seit 1984 innerhalb der Kreuzberger Rahmenkonzeption für eine selbstbestimmte Jugendarbeit eine beispielhafte Kooperation zwischen Kommune und Jugendliche bestand, drohte das Projekt im vergangenen Sommer endgültig an dem handlungsunfähigen Vorstand seines Trägervereins zu scheitern. Frei nach dem Wenn-alles-getan-ist-Motto hatten sich die Initiatoren, sechs Jahre nach der Gründung ihres Kultur- und Jugendzentrums, zur Ruhe gesetzt. Trotz mehrfacher Mahnungen hatten sie es nicht zuwege gebracht, Rechenschafts- und Finanzberichte beim zuständigen Bezirksamt einzureichen. Die Konsequenz: Im Juli 1990 setzte die Kommune, als Eigentümerin des stillgelegten Wasserreservoirs, einen Nutzungsvertrag mit dem Verein Wasserturm e.V. Juli aus.
Kein Wunder, daß sich Unmut und Überlebenswille nun auch vereinsintern regten. Schließlich gefährdete das Verhalten der Vorständler das Projekt insgesamt. Der »altersmüde« Vorstand nahm seinen Hut und der Verein vollzog einen Generationswechsel. Aus Erlösen des »Abschiedskonzertes« heuerten die Aktivisten der Turm-Crew ein Steuerbüro an und beauftragten es mit der Erstellung der pberfälligen Jahresabschlüsse. Einer neuerlichen Kooperation zwischen Selbsthilfeprojekt und Bezirksamt stand nun eigentlich nichts mehr im Wege. Zu Beginn dieser Woche war es schließlich soweit. Das ersehnte Vertragswerk war unterschrieben und der Wasserturm wieder auf legale Beine gestellt.
Nicht nur äußerlich erstrahlt das denkmalgeschützte Gebäude nach einer zweijährigen und vier Millionen Mark teuren Restaurationsphase seit 1988 in seiner vollen Pracht. Auch intern waren etliche Einrichtungen entstanden, die es allemal zu bewahren lohnte. Neben einem hauseigenen Café und dem Veranstaltungssaal bilden ein Tonstudio und ein Fotolabor die Kernstücke in dem Backsteingebäude. Die Betreuung der Technik wird dabei von zwei ABM-finanzierten Stellen gewährleistet.
In dem Studio können interessierte Bands ihre Demotapes auf einer 16-Spur- Bandmaschine aufnehmen. Auch werden laufend Lehrgänge zum Umgang mit moderner Ton- und Elektrotechnik angeboten. Im Fotolabor werden neben Grundkenntnissen der Farb- und Schwarz/Weiß-Fotografie Beleuchtungs- und Rasterverfahren vermittelt. Noch für dieses Jahr strebt der Verein mit der Produktion eines Samplers eine größere Gemeinschaftsproduktion der einzelnen Projekte an. Während die ausgewählten Turm-Bands in dem hauseigenen Studio ihre Songs aufnehmen und abmischen, soll das Cover der LP und natürlich das entsprechende Werbematerial von den Fotoleuten entworfen werden.
Die Arbeit des Vereins, dem heute etwa 20 aktive Mitglieder angehören, wird von vier hauptamtlichen Angestellten, drei Erziehern und einem Sozialarbeiter, des Bezirksamtes Kreuzberg begleitet. Zusätzlich wird das Jugend-, Kultur- und Kommunikationszentrum Wasserturm, wie das Projekt amtlich heißt, im Rahmen der Jugendförderung Kreuzberg mit jährlich 37.500,- DM subventioniert. Der GRoßteil der Förderung wird dabei für die Honorare der Kurs- und Lehrgangsleiter aufgewendet.
Mit dem neuen Vertragsabschluß kann nun auch der »Rockin' Tower« seinen Konzertbetrieb wieder aufnehmen. Laut Planung werden jeweils freitags zwei Bands in dem runden, kapellenartigen Veranstaltungssaal auftreten. Für die heutige Eröffnungsfete wurden allerdings insgesamt vier Combos verpflichtet. Den Auftakt werden die Rattle Rats mit neuer Sängerin und ihrem immer noch traditionellen Punkrock bestreiten. Danach gibt es »Core'n‘Roll« von Take The Cake. Natürlich dürfen da auch die Goronchos nicht fehlen, die seit Sylvester die Stadt mit eigenvertriebener LP und diversen Gigs heimsuchen. Mit ihrer gnadenlos überdrehten Mischung aus allem, was sich überhaupt verhackstücken läßt, bereiten die vier Berliner Jungs einen ziemlich kruden musikalischen Brei und nennen das Ganze »Hard Core Comic Groove Music«!!! Die Rockin' Assholes werden als letzte Band spielen. Da die Gruppe aus Prinzip weder Informationen noch Demos herausgibt, muß auf angeblich gut unterrichtete Kreise zurückgegriffen werden. Aus ihnen war zu erfahren, daß sich die Kapelle alle Mühe gibt, ihrem Namen alle Ehre zu erweisen und eine ziemlich wüste Reise durch die Geschichte des Rock'n‘Roll zu unternehmen. Angeblich gelingt ihnen dabei die beste Version des James Brown-Klassikers »Sex Machine«.
Parallel zum Start des »Rockin' Tower« wird im Café die Fotoausstellung »Starke Bilder von schwachen Menschen« eröffnet. Die Teilnehmer der verschiedenen Fotokurse werden hier erstmalig die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren. Bereits einen Tag nach der Eröffnungsfete startet dann die samstägliche Jazz-Reihe des Wasserturms mit einem Konzert des achtköpfigen Common Sense Orchestra. Der Eintritt an diesem Abend beträgt 10,- DM.
Am Sonntag, so die Planung, soll das Wochenende in der Kopischstraße 7 mit eher beschaulichen Veranstaltungen ausklingen. Denkbar ist alles, vom Dia-Vortrag über klassische Konzerte und Literaturkränzchen bis hin zu politischen Veranstaltungen. Nur an diesem Sonntag wird es ausnahmsweise noch einmal etwas rauher zugehen. Ab 21 Uhr werden die ostfriesischen Subway Surfers die Bühen mit ihrem treibenden, gitarrenlastigen Rock betreten, der irgendwo zwischen den Spermbirds und Freeses Strangemen angesiedelt ist. Andreas Kaiser
am Freitag ab 19 Uhr Eröffnung der Fotoausstellung und live ab ca. 20 Uhr Goronchos, Rattle Rats, Take The Cake und Rockin' Assholes.
am samstag ab 21 Uhr Jazz mit dem Common Sense Orchestra.
am Sonntag ab 21 Uhr spielen die Subway Surfers.
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