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Zurück in die Zukunft der Arbeit

■ Die Weite des Weltraums als Pufferzone für die Menschwerdung des Affens. Mathias Bröckers plädiert für Arbeitsplätze im Kosmos

Die Weite des Weltraums als Pufferzone für die Menschwerdung des Affens. MATHIAS BRÖCKERS plädiert für Arbeitsplätze im Kosmos

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anke, daß sie für ihre Reise den neuen Lufthansa Orbit-Tour- Service gewählt haben. Wir fliegen mit einer Geschwindigkeit von 26.800 Stundenkilometern in einer Höhe von 60 Meilen und haben die Erdatmosphäre bereits verlassen. In einigen Minuten starten wir das Anlegemanöver an das Tokyo Orbital International...“

Die japanische Shimizu Corporation macht bereits Pläne für den Tag der ersten Linienflüge in den Weltraum. Innerhalb der nächsten 30 Jahre, so schätzt man, werden nicht nur Astronauten, sondern auch Touristen in den Weltraum aufbrechen und sollen dann im Orbital International Hotel absteigen. Geplant ist die auf 28 Milliarden Dollar Baukosten kalkulierte Raum-Herberge für das Jahr 2010: In 64 Gästezimmern soll das Space-Hotel dann bis zu 100 Gäste bewirten können, vorausgesetzt, die Raumfahrtingenieure haben bis dahin die versprochene Antriebstechnologie entwickelt, um die aktuellen Mondpreise der Raumfahrt drastisch herunterzubringen.

Während die Reisekosten pro Astronaut in den derzeitigen Shuttles noch 4 Millionen Dollar pro Kopf betragen, könnten sie in einem neuartigen „Space- Bus“ dann auf 12.000 Dollar fallen. Zwar immer noch ein Betrag für die Superreichen des Space-Jet- Sets, aber doch schon in Reichweite von Otto Normal, der sich dann bald auch einen Traumraumschiff- Urlaub in der erdnahen Umlaufbahn gönnen wird. Die künstliche Schwerkraft innerhalb des Hotels soll 70 Prozent der Erdgravitation betragen, was konventionelle Zimmeraustattungen, Fahrstühle und dergleichen möglich machen wird, aber gleichzeitig dafür sorgt, daß alles, einschließlich Atmen und Essen, ein bißchen leichter von der Hand geht. Eine für den menschlichen Körper nach Auskunft der Astronauten sehr aufregende Erfahrung, die allerdings bei einigen in den ersten Tagen zu einer Art Seekrankheit führen wird. Neben dieser Übelkeit sehen die japanischen Raum-Tourismus-Manager für die Gäste vor allem eine Gefahr: daß die Hotelwände von einem Stück herumfliegenden Raum-Mülls durchschlagen werden könnten. Auf 3 Millionen Kilogramm (im Erdumkreis von 2.000 Kilometern) wird der Space- Junk aus 30 Jahren Raumfahrt geschätzt, wobei ein nur Zentimeter großes Stück ausreichen würde, eines der Gästezimmer-Module zu zerstören. Dem will man durch eine stabile Außenhaut und mit einem kosmischen Mülldetektor und -sammler begegnen.

Nicht nur dem Hotel- und Tourismusgewerbe und im Bereich Umwelt- und Entsorgungstechnologie würde ein Projekt wie dieses neue himmlische Arbeitsplätze (und reichlichen Bodenpersonalbedarf) schaffen. Vor allem einer Branche könnte der Weltraumtourismus mit Kind und Kegel die dringendst benötigte Konversion — die totale Wende ins Zivile — bescheren: der Militär-und Rüstungstechnik. Wohin mit all den genialen Tüftlern und den geschickten Arbeiterhänden, die die Milliardenwerte an Präzisions-und Hochgeschwindigkeitsgerät seit Jahren produzieren? Wenn die Gewehre von Heckler & Koch auf Erden keine Käufer mehr finden sollten, kann man die Angestellten, 2.000 hochspezialisierte Destruktionsexperten, nicht einfach in nach Hause schicken. Ihre Produktion auf Kinderspielzeug umzustellen, scheint ebenfalls nicht vielversprechend — ein zielgenauer Space-Junk-Zertrümmerer hingegen könnte schon vor 2010 marktreif werden, spätestens wenn der erste Kommunikations-Satellit von einem umherfliegenden Schrott-Teil getroffen wird. Für die Hersteller von Jagdbombern, Kriegsschiffen und Panzern gilt dasselbe — auch solches Mordgroßgerät werden wir erst los, wenn den Ingenieuren und Arbeitern etwas anderes geboten wird als Arbeitslosigkeit, etwa die Herstellung sicherer, verbrauchsgünstiger Raumfahrzeuge, die in 50 Jahren genauso oft von der Erde zu Produktionsstätten und Hotels im Orbit fliegen wie ein halbes Jahrhundert nach Lindbergh Jumbos über den Atlantik. Wie aus der Raupe ein Schmetterling, muß aus dem Leopard ein Raumgleiter werden — anders als in einer solchen Metamorphose ist wirkliche Abrüstung unrealistisch.

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aß man das Geld für die Mätzchen im Weltraum auf der Erde viel besser gebrauchen könne — dieser zentrale Punkt jeder Raumfahrtkritik — erweist sich angesichts der Arbeitsplätze der Zukunft als kurzsichtig. Die klimatologischen Daten deuten an, daß das weitere Anheizen der Industriegesellschaften die Erdatmosphäre bald irreversibel zerstört haben wird. Gleichzeitig ist der aufgeklärte Primat homo sapiens aber nicht in der Lage, seinen Wachstumsdrang zu stoppen. Zwar wird an allen Ecken offiziell Energie gespart, summa summarum aber täglich mehr verheizt. Unsere Vorfahren in der Steinzeit holten mit 100 Energieeinheiten (in Form von Feldarbeit) 300 Energieinheiten in Form von Nahrungsmitteln aus dem Boden. In der modernen Agrarindustrie hat sich das Verhältnis umgekehrt: Mit 100 Energieeinheiten Einsatz werden ganze 10 Einheiten Nahrungsenergie gewonnen. Die Überproduktion etwa der EG-Landwirtschaft beruht nicht auf einer rationalen Anbaumethode, sondern einzig auf der ständigen Subvention durch das Verheizen (billiger) Energie von außen — Maschinen und Öl. Jeder Nichtarbeitsplatz in einer solchen Wahnsinnsindustrie ist für den Erhalt des Garten Erde wahrscheinlich ein größerer Gewinn als ein ganzes Dutzend neuer Umweltplaner. Fängt man aber einmal an, alle Arbeitsplätze nach ihrem Energieverschwendungs-Quotienten zu betrachten, dann müßten von heute auf morgen mindestens die Hälfte aller Erdenbürger aufhören zu arbeiten — den Dampf, den sie 100 Jahre nach der industriellen Revolution zu machen in der Lage sind, hält das wohltemperierte Treibhaus Erde einfach nicht aus. Das einzige Ventil für diese gefährlichen überschüssigen Energien bleibt, bis sich die Menschheit von ihrer Wachstumswut erholt hat, die Raumfahrt. Das Biotop Erde ist diesem exponentiellen Beschleunigungsdrang nicht gewachsen — die Weite des Weltraums scheint als Pufferzone für die Menschwerdung des Affen unabdingbar.

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s ist also keine science fiction, einen Teil der Arbeitsplätze der Zukunft in den Weltraum zu verlegen, im Gegenteil. Utopische phantasy ist eher die Vorstellung, die 5 Milliarden Erdbewohner könnten irgendwie schon zur Naturharmonie der Steinzeit zurückfinden. Es sei denn, sie findet in Raumstationen statt, wie sie die Firma „Space Biosphere Ventures“ in der Wüste von Arizona gerade einem Test unterzieht: In einem Glashaus (von der Größe zweier Fußballfelder) sind alle Klimazonen der Erde einschließlich Wohn- und Ackerflächen untergebracht. Als Bonsai-Version des Ökosystems Erde soll diese „Biosphere 2“ 8 Menschen (und 3.800 Pflanzen- und Tierarten) zwei Jahre lang ernähren — als geschlossenes Kreislaufsystem ohne Energie- und Luftzufuhr von außen. Das private Großprojekt (Volumen 100 Millionen US-Dollar), finanziert von dem ehemaligen Hippie und Öl-Milliarden-Erben Ed Bass, hofft, außer auf Vorerkenntnisse für eine zukünftige Besiedelung des Mars, auch auf Gewinne aus irdischen Patenten. Etwa aus ihrer Methode des Luft-Recycling in geschlossenen Systemen, die in versmogten Stadtzonen schon recht bald zum Baustandard gehören könnte. Außerdem, so die Biospherianer, könne ihr Miniplanet im Treibhaus, sofern er den Zweijahrestest erfolgreich besteht, künftig als einzigartiges Testmodul für „Biosphere 1“ dienen — ein Treibhaus zur Erforschung des Treibhauseffekts und anderer ökologischer Ungleichgewichte.

Die Industrie von morgen muß, wo sie nicht in die Pufferzone Weltraum entweicht, das Gleichgewicht der Biosphäre als höchste Maxime respektieren. Das Programm für die nächsten hundert Jahre lautet: Wiederaufforstung, Restauration, Rekonvalenszenz des Planeten. Und Unterordnung jeder Produktionsweise unter diese Prämisse, das heißt Umbau der gesamten Industriegesellschaft. Oder es wird keine menschenerhaltende Biosphäre mehr geben. Der evolutionär denkende Gewerkschafter der Zukunft feilscht deshalb nicht mehr mit der alten Industrie — jeder Lohngroschen mehr heizt den permanenten, unerklärten Krieg gegen die Natur weiter an, soweit, bis um die billige Subvention von außen — das Öl — Weltbrände entfacht werden. Der grüne Arbeiter von morgen mißt jeden Arbeitsplatz an seiner Energieausbeute, berechnet die Kosten jedes Produkts nach der bei Herstellung und Verwendung verursachten Temperaturdifferenz, macht so Benzinkutschen teuer und Solarautos und -mofas spottbillig, und zwingt das falsche, vom Verheizen des Öls und des Regenwalds schmarotzende Wachstum zurück in die Hocheffizienz unserer steinzeitlichen Vorfahren. Die Zukunft der Arbeit.

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