: „Ein Mann mit Glatze wirkt doch irgendwie krank“
Die Perückenzunft lebt von männlicher Eitelkeit/ Ein gutes Toupet verrutscht in keiner Lage/ Frauen interessieren sich kaum noch fürs Kunsthaar ■ Von Jürgen Lossau
Was haben der Ex-Tagesschauler Köpcke, der Ex-Quizmaster Kulenkampff und der Ex-Junge von St. Pauli, Freddy Quinn, gemeinsam? Sie tragen ein Toupet.
„Ein Mann mit Glatze oder dünnen Haaren wirkt krank, ihm fehlt offenbar etwas. Nur wer Haare auf dem Kopf hat, sieht dynamisch und erfolgreich aus. Er kann sich zumindest besser darstellen“, glaubt Bernd Heier. Er sollte es wissen, schließlich ist er seit 22 Jahren in diesem haarigen Geschäft. Heier ist Verkaufsleiter eines Schwetzinger Perückenproduzenten. Werbeslogan seiner Firma: „Verliert der Mensch sein Haar, verliert er oft auch Selbstvertrauen.“ Rund 35 Millionen Mark Umsatz bestätigen, daß so manch ein Mann es ähnlich sieht.
Die Zeiten, als Frauen im Mittelpunkt der Perücken-Produktion standen, sind längst vorbei. Während vor 25 Jahren der künstliche Dutt und das zusätzlich ansteckbare Haarteil Mode waren; in den Siebzigern der Perückenboom aus Amerika zu uns herüberschwappte, leben ZweithaarfabrikantInnen heute fast ausschließlich von der männlichen Eitelkeit.
Ein Drittel aller Männer über 30 hat dünnes Haar oder Glatzenansatz. Der mode- und trendbewußte Herr weiß daher das diskrete Angebot der verschwiegenen Toupet-VerkäuferInnen zu schätzen. Selten residiert die Branche in offenen Ladengeschäften in der Fußgängerzone. Versteckte Büroetagen kommen dem Wunsch nach Vertraulichkeit entgegen. „Jemand, der ein Toupet trägt, spricht darüber nicht. Das ist ein Tabu-Thema“, klärt Verkaufsleiter Heier auf.
„Das größte Problem, was der neue Kunde hat, ist, sich zum ersten Mal wieder behaart zu zeigen. Was werden die Kollegen oder Freunde sagen? Die erste Kontaktperson, die ihn wieder mit Haaren sieht, ist häufig entscheidend für den Erfolg. Wenn diese Person grinst, wird der Toupet-Träger unsicher.“ Bernd Heier kennt Kunden, die das Kunsthaar schnell aufgegeben haben.
Dabei ist das unsichtbare Toupet eine teure Maßarbeit, die auf der Grundlage eines Gipsabdrucks gefertigt wird. Je nach Größe und Hersteller kostet das pflegeintensive Stück zwischen 1.500 und 3.500 Mark. Wem diese Summe auf einen Schlag zuviel ist, der bekommt seine Maßanfertigung auch im Leasing. Doch mit dem einmaligen Kauf ist es nicht getan. Die Kosten kommen immer wieder. Denn bei einem notwendigen Waschgang pro Woche überlebt die Haarpracht im Schnitt gerade mal zwei Jahre.
Zu 90 Prozent verwenden Perückenproduzenten heute synthetische Haare. Die sind nämlich farbstabil und bleiben länger in Form. Ein Unterschied zwischen Echt- und Kunsthaar ist nicht mehr zu erkennen. Das Rohmaterial kommt in der Regel aus China, Indien, Hongkong oder den Philippinen. Fertige Billigtoupets werden dort ebenfalls produziert. Nur die Maßanfertigungen sind aus Deutschland.
Den Laien bewegt aber eine ganz andere Frage: Was wird getan, damit das Toupet nicht ins Rutschen kommt? Methode 1:doppelseitiges Klebeband. Methode 2:mehrere Klammern halten das Kunsthaar am noch vorhandenen fest. Und Methode 3:eine Webkante wird in die eigenen Haare eingearbeitet, das Toupet muß mit Nadel und Faden angeknotet weden. Weil das Nachwachsen der echten Haare die künstlichen ständig ins Rutschen bringt, wiederholt mann den Vorgang Monat für Monat.
Richtig befestigte Toupets machen jedoch, so die HerstellerInnen, alles mit. Schwimmen, Sauna, Skifahren — kein Problem. Auch nasse Kunsthaare wirken wie echt und bleiben unentdeckt. Es gibt natürlich Ausnahmen. Was haben der immerblonde Heino und der Sportschau- Moderator Rauschenbach gemeinsam? Sie tragen ein Toupet, das jeder gleich als solches erkennt. Bernd Heier ist sich sicher: „Das könnte man besser machen.“
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