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Wo Korn draufsteht, sind 13.000 Körner drin

Der traditionelle Schluck aus der Schnapspulle soll nicht länger nur Pennern und Bauern die Kehle hinabrinnen/ Imagekampagne der deutschen Kornbrennereien verspricht dem Korn ein Comeback — als Mixgetränk und on the rocks für neudeutsche Yuppies mit Faible fürs ökologisch Hausgemachte  ■ Von Christine Berger

Mein alter Großvater würde sich im Grabe umdrehen, könnte er einen Blick in aktuelle Szenekneipen werfen. Nicht nur, daß ihn das Interieur schockieren würde, nein — das wohl gar nicht so sehr. Doch die Tatsache, daß ihm sein Bier nicht automatisch mit Schluck serviert werden würde, ließe ihn den Untergang deutscher Saufkultur prognostizieren.

Wo ist er hin, der gute alte Korn? Früher mit blumigem Pils zum Gedeck vereint, floß er sommers wie winters über deutsche Kneipentresen und wärmte den nüchternen Magen für das kühle Helle danach. Vor allem norddeutsche Gemüter wußten die Pulle Korn als tragbare Wärmflasche gegen das rauhe Küstenklima zu schätzen. Wenn unter Landsleuten an der Waterkant die Buddel die Runde machte, dann war garantiert Korn mit im Spiel.

Heute steht die traditionelle Pulle immer öfter verstaubt im Tresenregal. Läßt sich die ältere Generation noch manchmal im Stammlokal blicken, dann wird die Weizenspirituose hervorgekramt, verbunkert hinter Tequila-, Grappa- oder Ouzoflaschen. Der Korn als deutscher King unter den Kurzen ist absolut out. Degeneriert zum Lebensmittel der Penner und der älteren Landbevölkerung, fristet der deutsche Rachenputzer ein zunehmend elenderes Dasein unter hiesigen Schluckspechten.

Und mit ihm geht's auch den 541 Kornbrennereien im Land immer schlechter. Was tun? Das müssen sie sich angesichts des sinkenden Absatzes ihrer Klaren gefragt wohl sehr ernsthaft gefragt haben, bevor sie jetzt zur letzten Konsequenz geschritten sind.

Wie macht man aus simplem Korn ein dynamisches Exotikum?

Ein radikaler Imagewechsel für den Korn muß her als Antwort auf die kornfeindliche Jugend. Der Schluck als Mixgetränk der Schickeria, Korn on the rocks aus der Designerflasche — das könne die Rettung für die Branche bringen, hofften die Damen und Herren der Kornindustrie. Flugs bekam ein Wiesbadener Werbebüro den illustren Auftrag, aus simplem Korn ein jungdynamisches Exotikum zu zaubern. Als erster Schritt hin zu kornfreundlicheren Zeiten haben die Werbeleute jetzt der Welt erstes Korn-Magazin herausgegeben. Eine vierseitige Info-Illustrierte rund um den klaren Kurzen.

Korn-sour auf Würfeleis mit Cocktailkirsche

„Kann den Brennen Sünde sein?“ und „Die Neunziger brennen auf Tradition“, lauten in der Korn- Gazette die Schlagzeilen, mit denen der Hochprozentige sein Comeback einläuten will. Sogenannte „Korn- Tales“ vermischt mit den Visagen potentieller Kornkoster werben für Solidarität mit dem ehemaligen Schlachtschiff deutscher Wirtshauskultur.

Star auf den Schnapsseiten ist ein Münchner Cocktailspezialist, der „als klassische Integrationsfigur in der deutschen Bar-Szene“ vorgeführt wird. Natürlich, um den Korn im Shaker kräftig durchzuschütteln und einen „Korn-Sour“ auf Würfeleis mit Cocktailkirsche zu preisen. „Jetzt — der Schluck. Langsam rinnt das flüssige Getreide hinab in den Magen, für einen Moment spürt man das teuflisch milde Bukett, und ein wohliger Schauer scheint den Körper zu elektrisieren. Voller Zufriedenheit blicken Sie dem Barmann in die Augen und lassen ihn wissen, welch wunderbarer Drink doch so ein Korn sein kann!“

Flüssiges Getreide als die Antwort auf den importierten Flüssigkaktus Tequila? Wer sowieso auf Schrot und Korn steht, ist so wohl bestens bedient. Zwar haben die Reklamefritzen auf die Bio-Bezeichnung „Vollkorn“ denn doch verzichtet. Dennoch — wo Korn drauf steht ist auch Korn drin. FreundInnen der „naturbewußten Ernährung“ teilt das Korn-Magazin vertraulich mit, daß runde 13.000 Weizenkörner pro Pulle Korn vermaischt werden.

„Was Du ißt kannst Du auch gleich vertrinken“, heißt ein alter Kneipenspruch, der den Werbeleuten anscheinend noch irgendwo in den Hinterköpfen herumging. Der Korn als alkoholische Alternative zur täglichen Weizenkleie der Müslimampfer — billiger und bequemer kann man es doch gar nicht haben. Getreidemühlen stehen still, der Abwasch reduziert sich auf die Größe eines Schnapsglases; und auf das teuer erkaufte Biobier für den alternativen Schwips kann auch getrost verzichtet werden. Korn — die komprimierte alternative Fertigkost aus der Flasche?

Für den Imagewandel ist der deutschen Kornindustrie keine Anmaßung zu schade. Nicht nur, daß der Korn als „gesunde“ Alternative gegen den Rest der Vollkornprodukte anstoßen will. Auch für die Trinksitten sogenannter TrendsetterInnen auf Deutschlands Barhockern hat sich die Werbefirma einen feuchtfröhlichen Schachzug überlegt. „In der Szene steht man langsam wieder auf Tradition“ werden die modernen „trinkenden Hipster“ beruhigt. Norddeutsche Weizenfelder statt mexikanische Sierras!

Deutschtümelei für die Schickeria

Daß derartige Deutschtümelei in die Trinkgemeinde der neunziger Jahre paßt, scheint klar wie Korn. Als Symbol von vereintem Vaterland und „wir sind wieder wer“-Euphorie der finanzstarken Yuppie-Schickeria paßt die urdeutsche Spirituose wie gerufen in neudeutsche Trinkerkreise. Denn welches Imageprofil ließe sich derzeit leichter vermarkten als jenes?

Ach die Kornbrennereien selbst haben sich inzwischen mit neuem Reklameoutfit in Presse und Kinos gewagt. Ganz nach Art von Campari und Konsorten lächeln perlenbehängte Models in die Kamera und greifen filigran zum Schnapsglas. Untertitel nach neuem alten Muster: „Man gönnt sich ja sonst nichts.“ Der Korn im Kino hat Ähnlichkeit mit der Reklame für Schokoriegel — schnelle Schnitte, jungdynamische Bürotipsen, gepflegtes Tresenambiente. Ob die Werbung greift?

Vielleicht geht der Startschuß für das neue Kornzeitalter ja auch nach hinten los. Wie wollen die KornherstellerInnen künftig noch ihr Stammpublikum an der Flasche halten? Gibt es bald Designerflaschen in der Dorfkneipe? Funktioniert der Yuppietrinker als Identifikationsfigur für den Bauern der norddeutschen Tiefebene? Und wie, bitte, sollen die Penner in Berlins U-Bahn- Schächten das Geld für die dann teure Buddel zusammenbekommen?

Gleichzeitig dürfte der Korn als Getränk der Neunziger an der Kneipenfront wohl noch etliche Saufgelage als unbeteiligte Flasche vom Tresenregal aus zu betrachten haben. Auch wenn im Korn-Journal kriegerisch mit den Zähnen gen Konkurrenz gefletscht wird: Aufgepaßt Signore Grappa, Amigo Tequila oder Bella Vermouth — der König der Klaren erweist sich als echter Korn im Auge! Wohl kaum als Gerstenkorn.

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