: Pilzfreund, Terminijäger
■ Thomas Strittmatters Büchlein „Raabe Baikal“ wurde förderpreisgekrönt
Strittmatters Deutschlehrer hieß Andreas Öchsle, war jung und legte Wert auf Kreativität. Dieser Satz ist reine Spekulation. Keine Spekulation, sondern Zitat, ist: Die Schweinswürste lagen ineinandergekrümmt in der Schüssel, „als wären sie inmitten einer gigantischen orgiastischen Feier ertappt worden, wie die nach dem Ausbruch des Vesuvs im heißen Aschenregen Eingeschlossenen im Bordell von Pompeji“. Zweitens flogen „Worte wie drückende Hydraulik, elektrohydraulischer Regelkraftheber... durch die Halle wie verlockende Vögelchen“. Drittens: ist der „Tod ein Hauch, der sich wie Tau auf ein Haus, ein Dorf, eine Stadt sanft niedersenkt“. Metaphern ist Tieffliegen nicht verboten.
Thomas Strittmatter (Jahrgang 61) will einen Roman geschrieben haben, was eine Logorrhoe zum Thema „Pubertät“ ist. In 65 Ejakulaten. Inliegend: 1 Akne, 1 billiges Mädchen, 1 Onanie, 1 heiliges Mädchen, 1 ejaculatio praecox, 1 schwuler Kontakt. Macht ein Prozent des Buchs (294 Seiten). Der Rest ist Personal. Der Reihe nach werden überschlägig 20 Figuren präsentiert, die heißen: Ra(a)be, Andre(a), Taubmann und haben eine bemerkenswerte Geschichte. Meint Strittmatter. Vogelscheuchen mit Schild um den Hals, darauf ein belangloses Leben. Aber wortreich!
Ein Internatszögling geht in die Lehre, dann in die Stadt, dann trifft er alle Internatsbekannten wieder.
Strittmatter liebt die Sprache, daß mir da kein Mißverständnis entsteht! Doch er beherrscht sie nicht. Es ist umgekehrt. Er ist Wortesammler, Terminijäger, Schachbuchleser, Pilzfreund. Die vielen wunderbaren Begriffe in Strittmatters Kopf (Limnologisches Institut, Maronenröhrling, der Golomjanka-Fisch) fordern ihr Recht — und bekommen es. Sie werden veröffentlicht. Man kann Strittmatter lesen, wie man tessinischem Ostergeläut lauscht. Das kann auch schön sein.
Man darf sich um Himmels willen keine Sorgen machen oder Gedanken: Strittmatter malt, schreibt Volkstheaterstücke, hat in Klagenfurt gelesen und nun seiner Heimat, der Provinz, ein Buch gewidmet. Nicht zum Lesen: zum Schlucken.
Ich schlage vor, die 7500 Mark ‘literarisches' Förder-Preisgeld erhält zur Hälfte der Diogenes- Verlag. Dem es nicht nur an Lektoren gebricht (das Buch wimmelt von falschen Pronominalbezügen und logischen Totalausfällen), sondern auch an Korrektoren: die Interpunktion schreit zum Himmel, Herr Öchsle! Bus
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