: Orientalische Bühne: "Ich bekenne meinen Anti-Amerikanismus"
Die Lehrerin Sadia Ghelala-Schlinke stammt aus Tunesien und lebt seit 1973 in Bremen. Der erste Teil dieses Gesprächs erschien am Samstag, 26.1.
taz: Bei der amerikanischen Perspektive in der Golf-Berichterstattung wird es Dir vor dem Fernseher schlecht?
Sadia Ghelala-Schlinke: Ja, aber manchmal denke ich dann auch: Was erwartest Du eigentlich von diesem Westen. Wieso erwartest Du im Fernsehen plötzlich einen klaren Bericht? Die waren doch noch niemals in der Lage, sowas zu bringen. Wieso sollten die plötzlich Dein Interesse vertreten.
Dann ist mein einziger Trost, schnell in Tunesien anzurufen und zu hören, was dort berichtet wird.
Denkst du manchmal, in Tunesien würde es Dir jetzt besser gehen?
Ja, nach jedem Anruf bin ich etwas erleichtert wenn ich höre, wie die Menschen dort reagieren.
Und wenn die Menschen dort für Saddam Hussein auf die Straße gehen, wird Dir nicht schlecht?
Nein, die sind nicht für Saddam, die solidarisieren sich mit dem Volk des Irak und gegen die Westmächte. Das sind alles Völker, die den Kolonialismus erlebt haben. Und auch ihre jetzigen Regierungen haben sich von dem modernen Kolonialismus nie befreit.
Hier sehen die Menschen das nur moralisch. Die Deutschen sind mit ihrem Gewissen unheimlich am Kämpfen: Alles muß sauber, klar und ohne Widersprüche sein, bevor sie etwas unterstützen. Es muß ganz klar zwischen den Bösen und den Guten getrennt werden, und ich bin natürlich für die Guten. Aber wenn es so verwickelt ist, dann kommen sie völlig durcheinander. Die Ängste, daß womöglich jemand sagen könnte, sie seien für Saddam, wenn sie demonstrieren, die sind unglaublich.
Du würdest lieber in Tunesien demonstrieren?
Ja, da fühle ich mich freier.
Auch wenn gerufen wird: „Für den gerechten Krieg des Irak! „
Ja, aber für den Sieg der irakischen Bevölkerung. Die haben den Krieg ja nicht gemacht.
Ist in Tunesien denn auch gegen den Überfall Kuwaits demonstriert worden?
Da gab es einen Friedensmarsch der Gewerkschaften, daß Saddam sich wieder besinnt. Aber es war nicht für Kuwait. Die Emirate sind von der arabischen Bevölkerung sehr verhaßt.
Und der Irak nicht? Trotz der Chemiewaffen, trotz des Überfalls auf die Kurden...
Das zählt auch. Aber es gibt eine traditionelle Haltung der Bevölkerung gegen den König von Saudi Arabien und die Emire wegen ihres Luxus-Lebens, wie sie den Reichtum verschwenden...
Aber im Irak hatte die Bevölkerung von dem Öl- Reichtum auch nie etwas.
Das kannst Du nicht vergleichen. Die Frauen- Rechte im Irak und in Saudi Arabien — das ist ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde.
Und das halbe dutzend Geheimdienste, die sich auch noch gegenseitig bespitzeln?
Das kannst Du nicht so sehen. In Tunesien haben wir Frauen auch Rechte, aber wir haben überall Regierungen, die unheimlich diktatorisch sind. Im Irak ist das noch schlimmer, aber Du kannst nicht nur einen einzigen Punkt nehmen. Was die Iraker mit ihrem Regime machen, ist doch ihre Sache.
Worum es mir geht: Im Sudan gab es ein Projekt gegen die Hungerkatastrophe. Die brauchten Geld, um das Projekt zu verwirklichen und haben Saudi Arabien danach gefragt. Bis jetzt haben sie keinen Pfennig bekommen.
Vom Irak auch nicht.
Ja, aber Irak war im Kriegszustand, Saudi Arabien nicht. Der Irak wurde vor kurzem auch noch von Israel attakiert.
Weil der Irak dabei war, eine Atombombe zu bauen.
Wieso? In Israel machen die das doch auch. In Pakistan ist es genauso. Solange Israel mit Geld und Waffen beliefert, politisch unterstützt und in allen seinen Akten geduldet wird, kann ich dem Irak keine Vorwürfe machen.
Wenn Du sagst, Krieg ist im Nahen Osten sowiso völlig normal, warum findest Du den Krieg, den die USA jetzt zusammen mit Saudi Arabien, Syrien, Ägypten usw. führen, dann nicht auch normal?
Ich bekenne mich zum meinem Anti-Amerikanismus. Ich sehe, daß die Wurzel des Übels Amerika ist. Wenn die USA nicht da gewesen wären, wären die ganzen Probleme nicht entstanden. Ich bin wirklich für den Frieden, aber solange die Kriege in dieser Gegend geduldet sind, ist jeder Schlag erlaubt. Wir können nicht mal so, mal so, je nach unserem Interesse, moralisch werden.
Die arabischen Länder — nur ein Spielball des Imperialismus?
Die europäischen Kolonialisten haben die Grenzen gezogen und uns dann mit den Problemen alleingelassen. Die Grenzen haben sie als strategische und wirtschaftliche Punkte für sich ausgenutzt, und dann haben sie ihre Marionetten draufgesetzt. Äußerlich sind die unabhängig, aber innerlich sind sie immer noch von den Kolonialisten abhängig.
Das ist auch der Fehler von Saddam: Nur weil er jetzt selber militärisch mächtig ist, identifiziert er sich mit den Mächtigen. Wenn er geschickt gewesen wäre, hätte er die Sache ohne Gesichtsverlust regeln können. Da gab es viele Vorschläge der arabischen Länder.
Fragen: Dirk Asendorpf
Die Reihe der Gespräche mit BremerInnen aus dem Nahen Osten wird fortgesetzt.
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